Montag, 2. Mai 2011

Die schreckliche Entdeckung des Kapitän Moore

Wie ein schwerer Himmel über der See hängen die Lider über graugrünen Augen. Kaum je formen sich die Lippen zu einem Lächeln, und wenn, dann in der Melancholie der Erinnerung an etwas, was nicht wiederkehren wird. Captain Moore ist ein Entdecker, doch von dem, was er nach seiner Pazifikfahrt 1997 als erster beschrieb, will kaum jemand etwas wissen.















Im Elternhaus an der Alamitos Bay im kalifornischen Long Beach, wo der 62-jährige Charles Moore wohnt, ist die Welt der Kindheit bewahrt, in der seine Liebe zum Wasser und zum Abenteuer gründet. Sein Vater, ein Chemiker und Segler, liess ihn im Heimlabor aufregende Experimente veranstalten und brachte ihm bei, ein Boot zu steuern, in einem Alter, da er eben erst schwimmen gelernt hatte. Charles studierte Chemie, führte eine Werkstatt zur Restauration antiker Möbel und ging auf See, wann immer er konnte. Es war die unverdorbene Schönheit des Ozeans, die ihn anzog, die Abgeschiedenheit einer Welt, in der nichts den Blick verstellt.

Es war bei der Rückfahrt von der Transpac-Segelregatta von Los Angeles nach Hawaii. In Honolulu war er mit seiner Crew in See gestochen und hatte die Abkürzung durch die Rossbreiten genommen. Es dauerte eine Woche, bis sie durch waren. Sie fingen einen hundertpfündigen Thunfisch, grillierten Steaks und konnten nicht glauben, was sie sahen. «Mein Gefühl, dass hier etwas Entsetzliches vor sich ging, wurde immer stärker», sagt Moore.

Sein Erlebnis liess Moore keine Ruhe. Zwei Jahre später kehrte er mit einer Gruppe von Meeresforschern an die Stätte zurück. Er hatte ein feinmaschiges Netz gebastelt, das er zwischen die Rümpfe seines Katamarans spannen konnte. Er wollte wissen, was sich unter dem Wasserspiegel verbarg. «Das erst war die dramatische Entdeckung», sagt er. «Es wird schlimmer werden, und zwar rasch.»

Moore redet, ohne innezuhalten, in jener Art von Erschöpfung, die sich keine Pause gönnt in der Furcht, nicht mehr weitermachen zu können angesichts der Hoffnungslosigkeit.

Auf der letztjährigen Fahrt hat Moore Hunderte von Laternenfischen gefangen und später im Labor untersucht. Es sind die verbreitetsten Fische im Ozean, nicht länger als ein Finger. Bei Sonnenuntergang steigen sie aus den Tiefen an die Oberfläche, um zu fressen. Laternenfische sind das Grundnahrungsmittel von Thunfischen, Schwertfischen und Goldmakrelen.

«Was jetzt vor sich geht,» sagt Moore, «ist ein unkontrolliertes Experiment.»

Moore stützt sich auf Modelle der Ozeanströmungen bei seinen notgedrungen groben Schätzungen. «Ich nahm einen Globus, hielt meine Hand auf das Gebiet und dann auf Afrika», sagt er. «Es ist ungefähr gleich gross. Die Leute machen sich keine Vorstellung von den Ausmassen.»

Es kümmert die Welt nicht sonderlich. Das Gebiet ist weit weg, darüber geforscht wird kaum, weil das Geld dafür nicht fliesst. Manche können sich Bemerkungen über Moores «Sensationsmacherei» nicht verkneifen. Ob er wirklich alles erfasst habe bei seinen Vergleichen, fragen sie.

«Bessere Schätzungen?» fragt er. «Sollen sie rausgehen und Feldforschung machen.» Er ärgert sich, wenn er kritisiert wird von Leuten, die in ihren Dozentenstuben sitzen und die Hände in den Schoss legen. Er selber verwendet seine Ersparnisse darauf, mehr Fakten zu sammeln. Moore ist die treibende Kraft einer Bruderschaft von Wissenschaftern und Aktivisten; ein Seefahrer, der sein Monster mit einem Ingrimm verfolgt wie Kapitän Ahab den Weissen Wal. Mit dem Vermögen, das Moore von seinem Grossvater, einem Ölbaron, geerbt hatte, gründete er die Algalita Marine Research Foundation. Moore nahm Proben und verglich ihr Gewicht. Die Resultate hat er im Dezember 2001 publiziert.

In einem Schuppen hinter dem Haus hat Captain Moore seine Funde säuberlich in Plasticsichtbeuteln sortiert: In einer Kiste liegen undefinierbare Brocken; dazu ein Einmachglas, worin Kleinteile schwimmen wie Gemüsestücke in der Brühe.

«Man kann sich des Problems nicht entledigen, indem man sagt, niemand wisse darüber genau Bescheid», meint er.

Vor seinem Haus liegt die «Alguita» vertäut, sein Schiff.

Moore kniet auf dem Quai, fischt mit der Hand ein bisschen im Wasser herum und braucht keine fünf Minuten, bis er ein halbes Dutzend «nurdles» hat. Solche «nurdles» gehen beim Transport verloren, werden vom Wind erfasst und fortgeweht. Moore hat sie schon in den Körpern durchsichtiger Quallen gesehen. «Sie sind überall», sagt er.

Die fünfzehn Meter lange «Alguita» ist ein Prachtsstück von Katamaran. Fast das halbe Jahr ist Captain Moore mit dem Schiff auf See. «O ja, ich geniesse es noch immer», bestätigt er und redet rasch weiter, als müsste er trübe Gedanken verscheuchen, Einflüsterungen bannen, doch einfach aufzugeben angesichts der Unlösbarkeit des Problems. Wie er das bloss aushält? «Indem ich tue, was ich tue», sagt er auf die Frage nur und lüftet seinen Sonnenhut. «Die Trying», steht darauf. Wer’s nicht versucht, hat nicht gelebt.

(Quelle: NZZ Folio)

1 Kommentar:

  1. "Für mich ist der Schatten ein Geheimnis, das niemals vollkommen aufgeklärt werden kann."

    - Nikolina Georgieva

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