Dienstag, 21. Mai 2013

Bruchstücke eines Manifests, einer Aufforderung, eines Tagebuchs und einer Bedienungsanleitung, die mir in einem unachtsamen Augenblick versehentlich heruntergefallen und auf den Steinen der Terrasse zersprungen sind, hinter dem Haus meines Vaters in einem Dorf nicht weit von Frankfurt (Oder)



Als er aber uns sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und wir traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, öffnete eine Büchse Sprite Zero und sprach: Dies ist die Welt, sie ist von großem Interesse für den Menschen.


Tja.


Und er führte uns in den Krieg.


Auf der Welt gibt es die Natur. Zu ihr gehören die Landschaften. In den Landschaften gibt es Tiere, Pflanzen und Bodenschätze. Es gibt dort Städte und Dörfer, Straßen und Wege, Häuser und Autos, Laternen, Müllkippen, Parkplätze, Schnellrestaurants, Bordelle, Museen, Schlösser und Gefängnisse, Schulen und Opiumhöhlen, Waschsalons. Es gibt die organisierte Kriminalität und den internationalen Terrorismus. Es gibt das Weltfinanzsystem, die Drogen, die Separatismusbewegungen und den Rock ‘n‘ Roll. Es gibt Sekten, Vergnügungsparks und Psychiatrien, die Auferstehung von den Toten, das Internet, die Waffenindustrie, die Dinge des täglichen Bedarfs, Gewitter und Humor, Kerzenlicht, Pornofilme, Soldatenfriedhöfe und Unterhaltungsliteratur. All dies gibt es, es ist vorhanden, es ist verfügbar, es geht euch etwas an.


Was ist wichtig? Ist das wichtig?


Warum? fragte jemand aus unserer Mitte.


Die Nacht senkte sich auf uns herab. Nichts konnten wir dagegen tun, also stieg er mit uns hinab in die Finsternis, denn durch sie, so waren seine Worte, mussten wir hindurch, denn in ihr ist ein Pfad verborgen, sie ist der eigentliche Weg.


Liebe


Die Stille: was nicht geschrieben wurde und trotzdem da ist.


Das war der Plan.


(tief unter der Erde, im kalten Raum zwischen den Sternen und in den Krisenregionen dieser Erde)


Ich weiß es ja auch nicht.



Die größte Scheiße habe ich schon geschrieben. Die größte Scheiße werde ich noch schreiben.


Doch!


Vor den Toren der Militärakademie fanden wir uns wieder. Nach der Ausbildung zogen wir in den Krieg. Wir saßen im stinkenden Inneren des Trojanischen Pferdes, ritten auf den Elefanten Hannibals, plünderten Rom, fielen in Jerusalem ein, jagten die Katharer ins Meer, besiegten den Deutschen Orden, düngten das Amselfeld mit dem Blut unserer Feinde, opferten ihre Herzen dem Kolibri des Südens, verwüsteten die Ländereien unserer Brüder, brannten Tenochtitlán nieder, führten das Bauernheer an, versenkten die Spanische Armada, gaben Wallenstein in Eger den Rest, schlachteten die Völker bei Leipzig, erstritten die Unabhängigkeit Mexikos, zerschlugen in Gettysburg das Heer der Konföderation, stürmten die Mauern der Burg Wakamatsu, zogen uns auf die Siegfriedstellung zurück, befreiten Finnland, teilten die irische Insel, besetzten die Mandschurei, führten die Heeresgruppen bis an die Ränder der Welt


die entsetzlichen Augen (z. B. die der eigenen Mutter)


Da sprach er: Weil ihr alles auf einmal sehen sollt, und alles auf einmal wissen müsst, weil alles mit allem zusammenhängt, und kein Ding existieren kann, ohne ein anderes Ding zu berühren. Alles klaro am Kilimandscharo?


einfach nichts mehr sagen zu können (zum einen, weil mir nichts mehr einfällt, zum anderen, weil es so schwer ist, sich verständlich zu machen)


Wer?


Aber die Finsternis war nicht so, wie wir sie uns immer vorgestellt hatten. Er führte uns zu einem Ort in einer öden Landschaft, wo Staub und Sand das weiße Sonnenlicht gleißend reflektierten. Zwischen kahlen, hellen Hügeln gingen wir einen Schotterweg entlang, an dessen Ende sich eine verlassene Farm befand. Die Fensterscheiben des ehemaligen Wohnhauses waren eingeschlagen, die Tür war aus den Angeln gerissen worden, im schwarzen Eingang zum Stall lag die verdörrte Hülle eines toten Pferdes. Insekten sirrten herum, eine Klapperschlange wand sich zischelnd im Sand, das Holz, aus dem jemand die Scheune gezimmert hatte, war faulig und stank. Ein alter Brunnen ragte aus der Mitte des Hofes empor, feucht glänzten seine dicken Steine. In der Nähe endeten die Reifenspuren eines großen Fahrzeugs. Er ging mit uns zu diesem Brunnen und bat uns hineinzusehen. Wir waren so arglos, nichts, so glaubten wir, könne uns erschüttern. Der Brunnen war finster, seinen Grund sahen wir nicht. Er gab jedem von uns eine Taschenlampe und bat uns, sie einzuschalten. Wir weigerten uns nicht und taten, worum er uns bat. Tief unten im Brunnen, im schlammigen Wasser, sahen wir die blutigen Körper der einundzwanzig Mariachis zwischen dem geborstenen Holz ihrer Gitarren liegen, nackt, die Köpfe von Kugeln durchbohrt. Wir löschten unsere Lichter und fragten uns still, wer sie dort hineingeworfen hätte, und wir fragten uns, was diese armen Teufel angestellt hätten, um an diesem Ort auf diese Weise zu enden, und wir fragten uns, weshalb man uns Taschenlampen gegeben habe, und wir fragten uns, warum niemand eine Antwort auf unsere Fragen habe, und schon im nächsten Augenblick wölbte sich die Dunkelheit aus dem Brunnen heraus und umschlang uns, wölbte sich auch der Himmel auf die Erde hinab und verschluckte uns.  



Ein Buch. Pfff …


Denk nach, du Idiot.


... nun ja ... Form eben.


das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“ (1955 – 1993)


Nichts gab uns mehr Halt, und wir schwebten zwischen den kalten, toten Sternen, die irgendjemand dort hingetan hatte, versanken in den schwarzen Wassern eines unendlich tiefen Ozeans, fühlten das Polster der Sessel in einem stockfinsteren Kinosaal, in dem kein Film lief, in dem niemals wieder ein Film laufen wird


Nicht gut.


Als ich den Studenten sagte: Hauptsache, ihr habt Spaß beim Schreiben.


Ganz woanders haben die Frauen des Dorfes am frühen Vormittag die Wäsche aufgehängt – auch dies schützt sie nicht vor dem Tod.


Verknüpfungen, Baby!


Und wenn es wirklich so ist, dass sich die Dinge, wenn die Nacht hereinbricht, zu einem undurchdringlichen Dunkel verbinden – wieso hat uns dann niemand darauf vorbereitet?


Ich schäme mich so.


Übrigens gleicht der Stein am Wegesrand nichts und niemandem; er liegt da einfach so, ganz für sich, und niemand weiß, was er im Schilde führt.


Es gibt auf der Welt eine Vielzahl erhebender Wunder und hoffnungsfroher Ereignisse, die es zu beschreiben gilt, unbedingt, in Geschichten, deren prächtige Wortgewalt und moralische Makellosigkeit jedem noch so trübsinnigen Zeitgenossen die Zuversicht geben, als herrlicher Mensch friedvoll durch diese überwältigende Welt gehen zu können, ohne Sorge, ohne Angst, ohne Entsetzen. Es gibt jedoch Geschichten, die dies nicht leisten und nicht bieten können, denn ihr Anfang entspringt der Schande und dem Ungemach wie die faulige Kröte, deren glänzendes, pickliges Köpfchen aus der Jauchegrube taucht, und ihr Ende kehrt in den Schrecken und die Bestürzung zurück wie der stinkende, haarige Arsch des Teufels, der langsam und wohlig vibrierend in der von Eiter und Blut und Tränen dampfenden Badewanne der Hölle versinkt. Ach, wie lieb und teuer mir gerade ebendiese Geschichten sind, ich kann mir ja auch nicht helfen.


Wie soll ich das nur alles schaffen?


Igitt.


Ich gehe.  


Freunde. Und Feinde.


Ich bleibe.


Nie wieder Frieden, nie wieder Langeweile!


Kosmischer Schrecken


Hör auf zu schreiben.


Ich kenne viele Geheimnisse. Ich bin viel herumgekommen. Einiges habe ich mit eigenen Augen gesehen: Die große Insel Florida, die verschneiten Wälder um Windhoek, die mit geschmolzenem Glas überzogenen Ebenen des Ferghanatals, die Vulkane in den Vororten Brüssels, Sklaventänze im Hurricane Valley, den Leopardenkönig von Nyköping, die Entstehung des Purpurnen Meeres in Tunguska, das ferne Reich Neu-Aragon, eine Pilzfarm am Fuße des Piz Linard, die gewaltsame Absetzung des Obersten Ministers von Shēnzhèn Shì, die Entdeckung einer neuen Landzunge im Mittelmeer, die letzten unbeugsamen Überlebenden Deutsch-Indiens, die Hekatombe nach der Rettung Wellingtons vor den Fluten, die Wiedergeburt Washingtons in einer Gasse Jakartas, den Einschlag des Asteroiden „Cheiron“ in die Tasmanische See, die Ankunft des Gegenpapstes in Salar de Talar / Atacama, mallorquinische Bauern, eine blaue Sonne anstarrend, die Armee der Hermaphroditen und ihr Marsch auf Korinth, ein labyrinthisches Tunnelsystem unter den Schweizer Bergen, den Einsturz des Palastes von Avignon, die blutige Schlacht um Nowaja Semlja, die Vertreibung aller Kinder von der Insel Shikoku, den immerwährenden Zyklon „Winston“, den Auszug der Kalbsgötzen aus Kanaan, die Belagerung und restlose Zerstörung der Universitäts- und Hansestadt Greifswald, Aufstieg und Fall der alten Insel Ellesmere, den sterbenden Dichter in Blanes, fünf Fischmänner in der Bucht von Køge, den Aufstand der achtunddreißig Hofzwerge Schönbrunns, die Entwertung der spanischen Golddublone, die drei Tage währende Finsternis im Lande Lazio, die Ermordung der Comtesse von Aquitanien, die Einrichtung des ersten Fernsprechnetzes in Paramaribo.


Interessier dich doch mal für was, du Arschbanane.


Was?


alles wollen, alles können, alles müssen


totale Verweigerung


Billy the Kid (1859 – 1881)


Die dunkle Welle der Kommunikation, die an die Stirn des Lesers schlägt.


(Jetzt waren wir uns ganz sicher: Es gibt Lügen, es gibt Schmerz und es gibt Träume. Ein Sandsturm kam auf und vergrub uns. Reglos lauschten wir in der Dunkelheit, aber es war nichts zu hören. Später, viel, viel später, gruben uns Außerirdische aus. Sie staunten über unsere Hässlichkeit.) 

Mittwoch, 8. Mai 2013

Heute unterwegs


Zu trinken
Zu lesen
Zu schreiben
Geld
Hemd
Telefon dabei
in
Farbe
Lila