Donnerstag, 31. Dezember 2009

Primitivpony

Das Sumba-Pony ist eine urtümliche Pferderasse von der indonesischen Insel Sumba, die große Ähnlichkeit mit mongolischen und chinesischen Primitivponys hat. Es dient in Indonesien als Last- und Zugtier. Außerdem trifft man es in traditionellen Tanzwettbewerben an, in denen es durch einstudierte Schritte Glöckchen, die an seinen Knien befestigt sind, zum Klingen bringen muss.
Save your ass, heal the world!

Freitag, 25. Dezember 2009

DER GROSSE ROTTWEILROMAN

Geschrieben für die Verabschiedung des Rottweiler Stadtschreibers 2009,

also meiner Verabschiedung in Rottweil,

also in Rottweil, 17. Dezember 2009, von mir, W.Lotz

Hündchen


Meine Großmutter fragte mich: Du schreibst jetzt also die Stadtchronik weiter?

Meine Freunde fragten mich: Du musst jetzt also die Stadtchronik weiterschreiben?

Annette Krause, eine SWR-Fernsehmoderatorin, fragte mich: Sie schreiben jetzt also die Stadtchronik weiter? Der Kameramann rief: Das Licht war nicht gut. Noch mal! Annette Krause, die SWR-Fernsehmoderatorin, fragte mich: Sie schreiben jetzt also die Stadtchronik weiter?

Eine Frau vom Internetnachrichtenportal “News.de” fragte mich: Die Stadtchronik – Sie schreiben die jetzt weiter?

Ein Mann von einem lokalen Radiosender fragte mich: Wie kann man sich das vorstellen: Sie schreiben also die Stadtchronik weiter?

Meine Tante fragte mich: Du schreibst jetzt also die Stadtchronik weiter?, und steckte mir einen 20-Euro-Schein zu.

Ein Mann mit einem zerbeulten Hut an einer Bushaltestelle fragte mich: Sie schreiben jetzt also die Stadtchronik weiter?

Eine Schulklasse fragte mich: Du schreibst jetzt also die Stadtgeschichte weiter?

Eine andere Schulklasse fragte mich: Macht es Spaß, die Stadtchronik weiterzuschreiben?

Eine Frau mit einem winzigen Hund fragte mich vor einem Supermarkt: Haben Sie die Stadtchronik schon weitergeschrieben?

Nein, sagte ich, nein, nein, neinnein, nein, rief ich, nein, nein – nein!

Was machen Sie denn dann?, fragte mich die Frau mit dem winzigen Hund.

Ich schreibe hier Dinge, die ich für wichtig halte, antwortete ich.

Was denn zum Beispiel?, fragte mich die Frau mit dem winzigen Hund.

Ein Theaterstück, Gedichte und so, sagte ich.

Hm. Ein Theaterstück, Gedichte... murmelte die Frau mit dem winzigen Hund. Und die Stadtchronik?

Da wusste ich weder ein noch aus und sagte: Nun, ich habe jetzt begonnen mit dem Jahr 2023, und von dort arbeite ich mich langsam zurück – eine Menge Recherche ist das!

Das glaube ich, sagte die Frau mit dem winzigen Hund. Und ich dachte soeben schon, Sie wären nur hier, um Theaterstücke und Gedichte zu schreiben!

Dann betrat sie zufrieden den Supermarkt, der kleine Hund wedelte mit seinem kleinen Schwanz und ich bemerkte, dass es zu regnen begonnen hatte, was ja aber nichts besonderes ist, ja, es ist eigentlich nicht mal der Rede wert.


Ein Schriftsteller muss ein Schriftsteller sein


Ich bin der jüngste Stadtschreiber in der Geschichte Rottweils.

Ich bin der jüngste Stadtschreiber in der Geschichte Rottweils.

Ich bin der jüngste Stadtschreiber in der Geschichte Rottweils.

Vor meiner ersten Veranstaltung, der “Einführung des Stadtschreibers”, stand ich vor dem Zimmertheater herum (Was soll man in einer solchen Situation auch sonst tun?). Ein paar Leute kamen, sie begrüßten sich und fragten sich gegenseitig: Geht Ihr auch zur Einführung des Stadtschreibers? Jaja, sagten sie, und dann plauderten sie noch über dies und jenes. Dann sagte irgendjemand: Das da ist übrigens der Stadtschreiber, und zeigte auf mich. Alle blickten mich an und sagten: Ach so, das ist der Stadtschreiber? Dann sahen sie sich fragend an und schwiegen. Ich stand da, guckte mit meinen zwei Augen aus meinem Kopf heraus und versuchte zu lächeln.

Einen Tag später rief ich einen Freund an und sagte: Die wundern sich, dass ich so jung bin, du musst wissen, ich bin im Gegensatz zu den vorherigen Stadtschreibern so jung, die stellen sich einen Schriftsteller ganz anders vor, und ich… ich habe nicht mal ein Buch. Die nehmen mich wahrscheinlich gar nicht ernst, sagte ich.

Das kann schon sein, sagte der Freund.

Wie – das kann schon sein?! Was soll das heißen?, rief ich ins Telefon.

Dass sie dich nicht ernst nehmen!, sagte er.

Und jetzt?, rief ich in den Hörer.

Naja, sagte mein Freund, das ist eigentlich ganz einfach. Du brauchst einfach ein Jackett… Hast Du ein Jackett?

Ja, sagte ich, das Jackett vom Beerdigungsanzug, den habe ich ja immer dabei, Beerdigungen kommen ja immer ganz unvermittelt, sagte ich, da bin ich immer darauf…

Jaja, wie auch immer, sagte mein Freund, jedenfalls musst Du dieses Jackett anziehen, hörst Du?

Ja, sagte ich.

Und außerdem: Einen Schal! Hast Du einen Schal?, fragte er.

Ja, sagte ich.

Gut, sagte er. Und einen Bart, – du musst Dir unbedingt einen Bart wachsen lassen. Besser gesagt: einen Vollbart.

Das geht nicht, sagte ich, spätestens nach vier Tagen fängt das furchtbar an zu jucken, ich kriege darunter überall Pickel, ich halte das nicht aus, spätestens nach vier Tagen muss ich mich rasieren!

Du brauchst ein Jackett, einen Schal und einen Vollbart, beharrte der Freund, es hilft nichts, nur so glauben die Leute Dir, dass Du Schriftsteller bist. Dann ist es Ihnen auch egal, ob Du Bücher geschrieben hast, ja, ob Du überhaupt schreiben kannst, oder ob Du Analphabet bist oder wie auch immer. Aber ohne das geht’s nicht.

Meinst Du?, fragte ich.

Ja, meine ich, meinte mein Freund.

Also suchte ich das Jackett heraus, den Schal, und begann, mir in den Herbstferien einen Vollbart wachsen zu lassen. Langsam sprossen mir die Härchen aus meinem Kinn und meinen Backen, wurden immer länger und nach vier Tagen juckten sie so unerträglich, dass ich mir ständig mit beiden Händen im Gesicht herumfuhr, Pickel wuchsen hier und dort unter den Borsten, und am fünften Tag hielt ich es nicht mehr aus: ich rasierte mir so panisch das Gesicht, dass ich mir fast ein Stück der Nase und ein halbes Ohr mit abrasiert hätte.

Zwei Tage später, Ende Oktober, stand ich wieder (vor einer meiner Lesungen) vor dem Zimmertheater herum. Es war bereits so bitterkalt, dass ich das Jackett nicht hatte anziehen können, also trug ich meine alte Militärjacke. Ein paar Leute kamen, sie begrüßten sich und fragten sich gegenseitig: Geht Ihr auch zur Lesung des Stadtschreibers? Jaja, sagten sie, und dann plauderten sie noch über dies und jenes. Dann sagte irgendjemand: Das da ist übrigens der Stadtschreiber, und zeigte auf mich. Alle blickten mich an und sagten: Ach so, das ist der Stadtschreiber? Dann sahen sie sich fragend an und schwiegen. Ich stand da, guckte mit meinen zwei Augen aus meinem noch immer pickligen Kopf heraus und nestelte an meinem Schal herum, ich nestelte wie verrückt an meinem Schal herum, aber es half nichts.


Ratschläge


Meine Mutter sagte am Telefon: Wölfchen, wir sind ja ganz stolz auf Dich, dass Du Stadtschreiber bist!

Ja, Mama, sagte ich.

Aber Du bist immer so bucklig, Wölfchen, sagte meine Mutter, du bist noch so jung und hast schon einen halben Buckel, sagte sie, achte doch darauf, dass Du in Rottweil immer aufrecht sitzt und aufrecht stehst, du bist ja immer so bucklig, das wirkt nicht gut, du musst ja gut wirken als Stadtschreiber!

Ja, sagte ich, ja, Mama.

Einige Zeit später rief mich meine Mutter wieder an und fragte mich: Wölfchen, stehst und sitzt du immer aufrecht in Rottweil? Es ist wichtig, sonst wirkst Du ganz bucklig! Du bist ja für Dein Alter schon so bucklig!

Ja, Mama, sagte ich, aber es war eigentlich gelogen: Da man in Rottweil die Zigarettenstummel nicht auf die Straße werfen darf, war ich ja ständig damit beschäftigt, mich zu bücken und sie durch Schlitze in irgendwelche Gullis fallen zu lassen, eigentlich lief ich die ganze Zeit nur gebückt durch Rottweil, da ich ständig Zigarettenstummel in irgendwelche Rottweiler Gullis fallen lassen musste, da ich sie ja nicht auf die Straße werfen durfte, man darf sie ja in Rottweil nicht auf die Straße werfen, schon gar nicht als Stadtschreiber, also bückte ich mich und ließ sie hier in den Gulli fallen, dort in den Gulli fallen, am Hochturm in den Gulli fallen, am Alten Rathaus in den Gulli fallen, am Neuen Rathaus in den Gulli fallen, am Stadtgraben in den Gulli fallen, am Friedrichsplatz in den Gulli fallen, vor der Dönerbude Ali Baba in den Gulli fallen, neben der Dönerbude Ali Baba in den Gulli fallen, hinter der Dönerbude Ali Baba in den Gulli fallen usw. usf.

Aber ich sagte es meiner Mutter nicht, ich sagte ihr nicht, dass ich mich ständig bückte, ja, dass ich deshalb immer buckliger wurde, ja, dass man mir inzwischen problemlos ein Modell der Stadt Rottweil hätte auf den Rücken bauen können, so bucklig war ich inzwischen, weil ich die Stummel ja in die Gullis fallen lassen musste, weil ich sie ja nicht auf die Straße werfen durfte, man darf sie ja in Rottweil nicht auf die Straße werfen, schon gar nicht als Stadtschreiber, nein, ich sagte es ihr nicht, denn sonst hätte sie mir vielleicht gesagt, wie ungesund es ist, zu Rauchen, und wie schlecht es wirkt, vor allem als Stadtschreiber, wenn man raucht, ein rauchender Stadtschreiber, nein, und dann noch bucklig, und das in deinem Alter, Wölfchen.


An dieser Stelle könnte Ihr Name stehen, Herr X


Ein Herr X, dessen wirklichen Namen ich hier nicht ohne weiteres nennen kann, rief mich an einem Abend an und sagte: Herr Lotz, entschuldigen Sie die Störung, aber ich hätte ein Anliegen!

Das wäre?, fragte ich freundlich.

Ich würde gerne in Ihrem Rottweilroman vorkommen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – natürlich wäre ich bereit, dafür auch etwas zu bezahlen.

Das geht nicht, sagte ich, weil ich...

Ich verstehe Sie sehr gut, sagte der Mann, es müsste ja auch nicht sehr umfangreich sein. Eine halbe Seite: Ich könnte ja zum Beispiel einfach derjenige sein, der dem Kommissar den entscheidenden Hinweis gibt. Mehr nicht!

Hören Sie, stotterte ich, das kann ich nicht...

Es muss ja nicht viel sein, sagte Herr X am anderen Ende der Leitung.

Ich kann das nicht machen, rief ich, weil...

Herr Lotz, sagte Herr X, ich verstehe Sie sehr gut, ich bin ja auch Realist. Ich bitte ja um nichts Unmögliches. Ich habe mich ja auch bewusst nicht an einen großen und bedeutenden Schriftsteller gewandt, sondern an Sie!

Ich schwieg.

Hundert Euro, fuhr Herr X fort, hundert Euro ist, denke ich, kein schlechter Preis: Eine halbe Seite in Ihrem Rottweilroman, nur eine kleine halbe Seite in Ihrem großen Rottweilroman, das ist, denke ich, durchaus angemessen!

Es ist nur so, versuchte ich einzuwenden...

Nur ein zwei Absätze, rief Herr X in den Hörer, Sie nennen meinen Namen, stellen mich ein bisschen weltmännisch dar und schreiben noch ein halbes Sätzchen, dass in etwa so lautet: Er war eine gepflegte und sehr beeidruckende Erscheinung. Für hundert Euro – das ist doch machbar!

Es ist nur so, rief ich in das Telefon, es ist nur so, dass ich ja gar keine Romane schreibe, ich schreibe andere Dinge, aber ich schreibe ja gar keinen Roman!

Ach so, hörte ich Herrn X betreten sagen.

Ich lauschte in den Hörer, aber es herrschte Stille. Hundert Euro, dachte ich. Ich versuchte, mich zu erinnern, wann ich zum letzten Mal einen Hundert-Euro-Schein in der Hand gehabt hatte, aber es wollte mir nicht einfallen. Wie sah so ein Hundert-Euro-Schein überhaupt aus? Wie ein Zehn-Euro-Schein aussah, wusste ich wohl, auch wie ein Zwanziger aussah. Vom Fünfziger wusste ich zwar nicht, was darauf abgebildet war, aber ich wusste immerhin, dass er gelb oder braun oder irgendwas dazwischen war. Aber ein Hundert-Euro-Schein? Was für eine Farbe hatte so ein Hunderter überhaupt? Rot? Blau? Grün? Plötzlich fing der Schein vor meinem inneren Auge an, seine Farbe zu wechseln, ja, er begann zu fluoreszieren, er leuchtete, er schillerte in allen erdenklichen Farben, er wurde zu einem Regenbogen, einem Regenbogen aus Papier, ein kleiner, unerreichbarer Regenbogen des Wohlstands!

Ein Gedicht!, rief ich ins Telefon. Für hundert Euro schreibe ich ein Gedicht über Sie!

Ich hörte nur das Rauschen in der Telefonleitung. Nach einer Weile erwiderte Herr X zögerlich: Herr Lotz... ich weiß nicht, wie ich sagen soll... also, verstehen Sie mich nicht falsch... aber ein Gedicht... wie soll ich sagen... das ist doch... nun ja... das ist doch irgendwie... unmännlich...

Fünfzig Euro, rief ich, für fünfzig Euro! Sie stehen zwischen Bäumen, der Blick schweifend über das Neckartal, segelnde Schwalben, Schwalben!, rief ich, und es geht ein Wind durch die Bäume, ein leichter Wind, und Sonnenaufgang oder Sonnenuntergang, Sie dürfen es sich aussuchen, Sonnenaufgang oder –untergang, das dürfen Sie sich sogar aussuchen!, rief ich.

Nein, Herr Lotz, sagte Herr X, nein, das ist sehr nett, aber was sollen denn meine Freunde und Bekannte denken, wenn ich in... also... wenn ich in einem... Gedicht vorkomme?

Fünfunddreißig, rief ich verzweifelt, fünfunddreißig Euro, und ich schreibe es in Odenform! In Odenform, verstehen Sie! Eine Ode!, rief ich in den Hörer, aber ich bekam keine Antwort. Fünfundzwanzig, sagte ich leise, fünfundzwanzig, und Ihr Name kommt darin dreimal vor, viermal, sagte ich, für fünfundzwanzig...

In der Leitung begann es zu tuten. Ich saß da und blickte den Hörer ratlos an. Reimen, dachte ich, ich würde es sogar reimen, und Jambus, oder Daktylus, was immer das auch ist, dachte ich und blickte den Hörer ratlos an.


(An dieser Stelle möchte ich anfügen, dass ich grundsätzlich bereit bin, in den obigen Text den echten Namen auf Wunsch einzusetzen, ja, es müssten auch gar keine hundert Euro sein, fünfzig, sehr gerne setze ich dafür statt Herr X den echten Namen ein, fünfzig Euro, na gut, sagen wir fünfzig Euro als Verhandlungsbasis, es ist kein Problem, ich setze gerne statt Herr X den echten Namen ein, bitte, lassen Sie es mich wissen, Herr X, lassen Sie es mich wissen, ich setze gerne noch Ihren echten Namen ein, Sie wissen, bezüglich des Preises lasse ich gerne mit mir reden.)


Kleine Abschiedsrede an der Verabschiedung


Sehr geehrte Rottweiler Bürgerinnen und Bürger,

die Sie so zahlreich zu meiner Verabschiedung gekommen sind,

die Sie so zahlreich zu dieser – meiner – Verabschiedung gekommen sind,

die Sie so zahlreich zu allen meinen anderen Lesungen nicht gekommen sind,

zu diesem – meinem – Abschied, möchte ich Ihnen noch etwas erzählen:

In Vorbereitung meiner Verabschiedung,

in Vorbereitung dieser – meiner – Verabschiedung,

fragte ich einen und einen anderen, einen ebensolchen und einen ganz unterschiedlichen,

was man denn von einem Stadtschreiber an seiner Verabschiedung

(was man also von mir an eben dieser – meiner – Verabschiedung) erwarte,

da ein noch mal ganz ganz anderer mir erzählt habe,

man erwarte von einem Stadtschreiber an dessen Verabschiedung etwas, ja,

es gebe ganz besondere Erwartungen an einen Stadtschreiber an dessen Verabschiedung.

Woraufhin der eine, der andere, der ebensolche und der ganz unterschiedliche mir antworteten:

Ja, stimmt.


Ich fragte daraufhin den einen, den anderen, den ebensolchen und den ganz unterschiedlichen,

was es denn nun sei, was man von einem Stadtschreiber an dessen Verabschiedung,

was man also von mir an eben dieser – meiner – Verabschiedung erwarte,

woraufhin der eine, der andere, der ebensolche und der ganz unterschiedliche mir erwiderten:

Nun, man erwarte keine ernsthafte Literatur, sondern stattdessen eher

einen lustigen Text über Rottweil, über die Stadtschreiberei, nichts Anspruchsvolles,

ja, etwas Anspruchsvolles erwarte man an der Verabschiedung nicht, nein,

man erwarte geradezu, dass nichts Anspruchsvolles gelesen werde an der Verabschiedung,

deshalb komme man ja gerade zur Verabschiedung so zahlreich,

weil es üblich sei, gerade an der Verabschiedung etwas ganz und gar Unanspruchsvolles zu hören,

etwas Lustiges, aber Unanspruchsvolles über Rottweil und die Stadtschreiberei,

und die bisherigen Stadtschreiber hätten sich doch meist an dieses Diktum gehalten,

nichts Anspruchsvolles an ihrer Verabschiedung vorzulesen, ja,

sie hätten sich – bis auf wenige Ausnahmen – selbst bei ihren anderen Lesungen daran gehalten,

sich an dieses Diktum gehalten, nichts Anspruchsvolles vorzulesen,

und sicherlich sei es denkbar, dass ein Stadtschreiber bei seinen Lesungen

auch einmal etwas Anspruchsvolles, also ernsthafte Literatur vorlese, ja,

es sei ein ausgesprochen interessanter Gedanke, dass es auch einmal einen Stadtschreiber geben könne, der

anspruchsvolle Literatur schreibe, ja, möglicherweise einen, der diese sogar vorlese, warum nicht, man sei in Rottweil

grundsätzlich gegenüber solchen Gedanken offen, warum solle nicht der eine

oder andere mal darüber nachdenken, ob man sich einmal einen Stadtschreiber hole

der anspruchsvolle Literatur schreibe, er müsse sie ja nicht gleich vorlesen,

man könne ja zunächst einmal erwägen, einen zu holen, der sie ja schreibe,

aber an seiner Verabschiedung könne ja auch solch ein Stadtschreiber dann doch

auch einen lustigen Text über Rottweil und die Stadtschreiberei vorlesen,

zumal es ja die Erwartung gebe, das ein Stadtschreiber, anspruchsvoll oder nicht,

auf seiner Verabschiedung einen anspruchslosen Text vorlese, indem es

auf lustige Weise um Rottweil und die Stadtschreiberei gehe – ja, warum auch nicht?


Daraufhin fragte ich den einen, den anderen, den ebensolchen und den ganz unterschiedlichen,

was sie mir denn nun raten würden für die Verabschiedung,

für eben diese – meine – Verabschiedung, woraufhin

der eine, der andere, der ebensolche und der ganz unterschiedliche mir erwiderten:

Das Beste sei wohl, einen anspruchslosen, aber lustigen Text

über Rottweil und die Stadtschreiberei vorzulesen, schließlich gebe es ja

derartige Erwartungen bei der Verabschiedung eines Stadtschreibers,

und auch ich, so meinten der eine, der andere, der ebensolche und der ganz unterschiedliche,

habe mich ja auch bei meinen bisherigen Lesungen an dieses Diktum gehalten,

man sei zwar nicht auf diesen Lesungen gewesen, man komme grundsätzlich nur

zur Verabschiedung und also auch zu eben dieser – meiner – Verabschiedung,

aber man habe ja doch gehört, dass auch ich auf meinen Lesungen mich bisher

an das Diktum gehalten habe, keine anspruchsvolle Literatur vorzulesen,

obwohl man nicht genau wisse, von wem man das wisse, schließlich kenne man ja keinen,

der auf einer dieser Lesungen gewesen sei, schließlich ginge man ja

nur zur Verabschiedung, weil es dort ja üblich sei, dass ein anspruchsloser,

aber lustiger Text über Rottweil und die Stadtschreiberei vorgelesen werde,

was seinen guten Grund habe, schließlich müsse man ja auch auf die Sponsoren

der Stadtschreiberei Rücksicht nehmen, und gerade die Stadt, die Volksbank,

und besonders der Rotary Club müsse ja sonst seinen Mitgliedern dann erklären,

weshalb ein Stadtschreiber gerade bei seiner Verabschiedung einen anspruchsvollen Text,

der womöglich noch nicht mal über Rottweil und die Stadtschreiberei ginge,

vorlese, und gerade für den Rotary Club sei es ja schwer, seinen Mitgliedern zu erklären,

wieso entgegen der Erwartungen an der Verabschiedung auf einmal

ein anspruchsvoller Text vorgelesen werde.


Daraufhin rief ich empört, dass ich wohl auch nicht bestreiten könne, dass

die Mitglieder des Rotary Clubs zwar fast ausnahmslos reiche Bürger seien,

über die ich mir aber allein schon deshalb keine schlechte Meinung habe bilden können,

da ich auf keiner meiner Veranstaltungen

irgendeinem Mitglied dieses Clubs wissentlich begegnet sei,

und abgesehen davon gebiete es schlichtweg der Anstand, sich nicht derart abfällig

über diese Menschen zu äußern, zumal es ja besonders diesen zu verdanken sei,

dass es überhaupt einen Stadtschreiber gebe, der verabschiedet werden könne!


Ja, das sei richtig, erwiderten daraufhin der eine, der andere, der ebensolche und der ganz unterschiedliche, man habe sich wohl diesbezüglich etwas im Ton vergriffen,

wofür man sich entschuldige. Dennoch sei es richtig gewesen,

darauf aufmerksam zu machen, dass es bei der Verabschiedung dahingehend

Erwartungen gebe, dass ein unanspruchsvoller, aber lustiger

Text über Rottweil und die Stadtschreiberei vorgelesen werde, weshalb man

zu dieser ja so zahlreich erscheine, weshalb man ja auch zu dieser

– meiner – Verabschiedung so zahlreich erscheine, ja,

somit ja erschienen sei, wofür man ja auch dankbar sein müsse, ja

wofür ich Ihnen danken möchte,

sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger Rottweils, wofür ich Ihnen,

wie gesagt, danken möchte, also dafür, dass Sie

so zahlreich erschienen sind, zu eben dieser – meiner – Verabschiedung.

Montag, 21. Dezember 2009

Blue Ice Imperial

4 cl Wodka, eisgekühlt
1 Messerspitze Ellesmerium, unbehandelt
1 Feuerzeug
1 Teelöffel Zucker
2 Blaubeeren

Wodka in ein Glas füllen. Das unbehandelte Ellesmerium über dem Glas erhitzen, bis es zu brennen anfängt. Dann ins Glas träufeln. Das Glas in einem Zug leeren. Gleich danach den Zucker essen. Zum Schluss die beiden Blaubeeren.

Das Unmögliche Theater im Kino

Freitag, 18. Dezember 2009

Bezüglich der Tiere

Bezüglich der Tiere, sagte Gregor, will ich sagen, dass mein Hund lacht. Er wartet hinter der Hecke. Wenn der Postbote genau auf seiner Höhe ist, springt er hervor mit einem Satz, fletscht die Zähne und vollführt einen entsetzlichen Lärm. Über das Gesicht des Postboten lacht er später, auf dem Rücken liegend, ungehemmt, hell und klar.

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Untersuchung über die Tendenzen der vorherrschenden moralischen und intellektuellen Interessen der Schriftsteller

Antonio Gramsci, 1934:

"Für welche Formen der Aktivität haben die italienischen Schriftsteller "Sympathie"? Wieso haben sie kein Interesse für die ökonomische Aktivität, die Arbeit als individuelle oder kollektive Form der Produktion? Wenn in den Kunstwerken ein ökonomisches Thema abgehandelt wird, interessiert das Moment der "Führung", der "Herrschaft", des "Kommandos" eines "Helden" über die Produzenten. (...) Das bäuerliche Leben nimmt einen weiteren Raum in der Literatur ein, aber auch nicht als Arbeit und Mühe, sondern die Bauern erscheinen als "Folklore", als malerische Repräsentanten sonderbarer und wunderlicher Sitten und Gefühle. (...)
Man kann sicher weder einer noch mehreren Generationen von Schrifstellern vorschreiben, für diesen oder jenen Aspekt des Lebens "Sympathie" zu entwickeln. Aber dass eine oder mehrere Generationen von Schriftstellern bestimmte intellektuelle und moralische Interessen haben und andere nicht, hat dennoch eine Bedeutung, es weist darauf hin, dass unter den Intellektuellen eine bestimmte kulturelle Richtung vorherrscht. (...) Dass die Schrifsteller die produktive Aktivität des Menschen, die doch das ganze Leben der aktiven Elemente der Bevölkerung ausmacht, der epischen Darstellung nicht für würdig halten, ist noch nicht alles"

Dienstag, 15. Dezember 2009

Für eine neue Arbeiterliteratur

http://www.goldmag.de/2009/12/fuer-eine-neue-arbeiterliteratur/#comments

Re:


Liebes monkey,

vielen Dank für deine bisherige Mitarbeit. Dass wesentliche Lernschritte unseres
Seminars strukturiert ins Internet ausgelagert wurden, soll nicht nur den
Lernprozess unterstützen und Medienkompetenz erhöhen, sondern auch in der
Notengebung belohnt werden. Daher erhältst du - wie in den Leistungsanforderungen
ausgeführt - für deine bisherigen Online-Aktivitäten folgende Punkte:

Forumsbeitrag Erwartungen - 1
Wikibeitrag - 2
Literaturrezension - 2
Umfrage Zwischenauswertung - 1
Kurzkommentare erste Ideen - 1,5

Gesamt: 7,5 von 8


Beste Grüsse,
E. Wildenthal



* * * * * * * * * * *



Liebes monkey,

dies ist die letzte Sitzung, für die ich dich entschuldigen kann. Solltest du
nochmals nicht da sein können, müssen wir unbedingt vorher darüber sprechen.

Zu deinem unten gemachten Vorwurf, ich würde Treffen unsachgemäss kurzfristig
ansetzen an dieser Stelle nur der Hinweis, dass es nicht besonders günstig
ist, eine ausführliche Begründung, warum das nicht in Ordnung ist an jemanden
zu schicken, der kein solches Treffen anberaumt hat. Für die Zukunft empfehle
ich die vorherige Rücksprache mit der Gruppe.

Bis Freitag,
E. Wildenthal

Montag, 14. Dezember 2009

In einer Zeit weit vor unserer Zeit
stand auf einem abschüssigen Felsen

ein Tier

über den Ebenen
über den Niederungen
über den Wäldern

es schaute über die Formen

Furchen breiteten sich aus

der Abhang
die Niederung
die Weite
die Ebnung
die Dämmerung

es sah die Falten die Menge die Wipfel
das im Sturz Versteinerte das steinig mächtige
den Himmel die Fluren die Schneemacht

Das Tier atmete

Es sah
den Abhang, die Ebene
den Himmel die Farben

Das Tier, es war unter Umständen ein weisses.

Es war sichtig.

Das Beständige der Natur nahm sich ab vor dem Flüssigen und Leichten,
das etwas anderes war.

Es war das erste Wesen, von dem ich weiss, dass es des Sehens mächtig war.

Es sah, unter allen anderen, mich kommen.

Am vierzehnten Dezember neunzehnhundertacht kam ich.

Noch nie stand ich auf einer abschüssigen Höhe noch nie hörte ich das Surren der Felsen den Wind das Flüssige das weite Sirren das Höhlen

das Tier hörte es

ich war ein Kind der Fläche

Das Tier hätte ohne mich
das weisse
auf dem abschüssigen Felsen
nichts gesehen

Als Sohn eines singenden Fischers bin ich auf die Welt gekommen

Meine Mutter?

Aus Gründen, die in Beziehung zu diesen Zusammenhängen stehen, glaube ich, ihr Versammelten, schreibe ich.

Die Kunst findet statt im öffentlichen Raum

Dienstag, 8. Dezember 2009

IN EWIGKEIT AMEISEN - HÖRSPIEL VON WOLFRAM LOTZ

Download oder direkt anhören für umme hier:
In Ewigkeit Ameisen

Hörspiel, SWR 2009

Sonntag, 6. Dezember 2009

Edmund Zacharias Swill

Ich kenne viele Geheimnisse. Ich bin viel herumgekommen. Einiges habe ich mit eigenen Augen gesehen: Die große Insel Florida, die verschneiten Wälder um Windhoek, die mit geschmolzenem Glas überzogenen Ebenen des Ferghanatals, die Vulkane in den Vororten Brüssels, Sklaventänze im Hurricane Valley, den Leopardenkönig von Nyköping, die Entstehung des Purpurnen Meeres in Tunguska, das ferne Reich Neu-Aragon, eine Pilzfarm am Fuße des Piz Linard, die gewaltsame Absetzung des Obersten Ministers von Shēnzhèn Shì, die Entdeckung einer neuen Landzunge im Mittelmeer, die letzten unbeugsamen Überlebenden Deutsch-Indiens, die Hekatombe nach der Rettung Wellingtons vor den Fluten, die Wiedergeburt Washingtons in einer Gasse Jakartas, den Einschlag des Asteroiden „Cheiron“ in die Tasmanische See, die Ankunft des Gegenpapstes in Salar de Talar/Atacama, mallorquinische Bauern, eine blaue Sonne anstarrend, die Armee der Hermaphroditen und ihr Marsch auf Korinth, ein labyrinthisches Tunnelsystem unter den Schweizer Bergen, den Einsturz des Palastes von Avignon, die blutige Schlacht um Nowaja Semlja, die Vertreibung aller Kinder von der Insel Shikoku, den immerwährenden Zyklon „Winston“, den Auszug der Kalbsgötzen aus Kanaan, die Belagerung der Hansestadt Greifswald, Aufstieg und Fall des Imperiums Ellesmere, den dem Tode geweihten Dichter in Blanes, fünf Fischmänner in der Bucht von Køge, den Aufstand der achtunddreißig Hofzwerge Schönbrunns, die Entwertung der spanischen Golddublone, die drei Tage währende Finsternis im Lande Lazio, die Ermordung der Comtesse von Aquitanien, die Einrichtung des ersten Fernsprechnetzes in Paramaribo.

Ein Brief aus Boston

Und da standen sie.

Ja, sagten sie.

Langsam sahen sie das Reh,

das Urban,

leise,

geschickt hatte.

Die Sonne spielte mit seinem Fell

in einer

unaufdringlichen

Weise.

Das Fell war hellbraun und weich und die Augen des Rehs schauten sanft

gleichwohl bestimmt.

Schnell!

Wir rannten in die Kirche, knieten nieder.

Feine Steine gruben sich in unsere Haut.

Dann kam das Reh.

Samstag, 5. Dezember 2009

"'Wollen wir vielleicht noch einmal..?' fragte der Chinese,

ohne die Frage zu vollenden. Da niemand antwortete, schaltete er den Verstärker ein. Zuerst vernahm ich ein dumpfes Brausen, Knattern, dann einige unangenehme, schrille, rasch abreißende Pfiffe. Plötzlich erklang aus dem Lautsprecher ein Melodie, düster, erhaben, gewaltig und doch voll Angst und tiefstem Schrecken. Sie erweckte keine Furcht, denn sie war es selbst. Ein Entsetzen lag in ihr wie in den Riesenskeletten jurazeitlicher Ungeheuer, die in grausigem Kampfe erstarrten, als sie der Strom glühener Lava erfaßte und für Ewigkeiten in ihrer Haltung unaussprechlicher Schmerzen festhielt. Die Musik glich den riesenhaften Knochen, die einmal Rückgrat und Rippen waren, die nicht mehr dem Leben angehören und doch noch nicht zu Kalkfelsen geworden sind - Teile einer toten Welt. Und so tönte auch diese Melodie: seltsam, geheimnisvoll, unheimlich - und doch so nahe, daß ich an manchen Stellen vermeinte, sie müßte von Menschen hervorgebracht sein. Ich wollte schreien: Genug! Genug! Haltet es an! - aber ich vermochte den Mund nicht zu öffnen und lauschte weiter wie unter einem Bann, als betrachtete ich durch eine Glasscheibe die Todeszuckungen eines Ungeheuers von unbegreiflichen Formen, von dem ich nichts wußte, als daß es umkam… Noch einmal dröhnte der schauerliche Chor auf, dann war es still. Nur der eingeschaltete Lautsprecher summte noch.

Wir alle verharrten in tiefem Schweigen. Unter uns war das feine Geräusch des tätigen Mechanismus zu hören.

Es verging eine geraume Zeit, ehe ich mich zu der Frage aufraffte: 'Was war das?'"