Freitag, 18. September 2009

REDE ZUM UNMÖGLICHEN THEATER

Brüder und Schwestern,
man hat versucht, uns zu erzählen, dass die Zeit linear vergeht. Das stimmt, aber wir glauben es nicht!
Man hat versucht, uns zu erzählen, dass alles von oben nach unten fällt. Das stimmt, aber wir glauben es nicht!
Man hat über Jahrtausende versucht, uns zu erzählen, dass wir sterben müssen. Auch wenn es stimmt, glauben wir es nicht!
Die Würstchen der Wahrheit, die für uns gebraten werden, wollen wir nicht mehr essen. Wir wollen nicht mehr Zaungäste oder Zaunkönige oder Bachstelzen sein bei den Bedingungen des Lebens, denn das hier, Brüder und Schwestern, ist unser Leben. Wir haben ein Recht darauf, über die Bedingungen unseres Lebens zu entscheiden, und nicht nur darüber, ob wir nach dem Abiball Tischler oder Schreiner werden.
Warum, frage ich Euch, warum sollten wir sterben?
Man hat versucht, uns zu erzählen, dass das Leben durch das Sterben erst lebenswert werde. Was ist das für eine Gurke!
Und falls wir doch sterben müssen, was ich bezweifle, ja, was ein Blödsinn ist, dann müssen wir das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden. Ich will nicht sterben, und ich will nicht, dass meine beiden Katzen Samuel und Gesine sterben, wenn sie es nicht ausdrücklich wollen, und meine Katzen wollen das auch nicht!
Aber die Wirklichkeit!, höre ich die Ideologen des Bestehenden rufen. Die Wirklichkeit sei nun mal so, wie sie sei!
Aber nur, weil es stimmt, was sie sagen, müssen wir das nicht glauben!
Warum sollten wir hinnehmen, dass die Wirklichkeit über die Bedingungen unseres Lebens entscheidet? Ist für uns denn nur von Belang, ob wir vor dem Sterben Rotkohl oder Sauerkraut essen? Ob wir Talkshows oder Dokus gucken, bevor der Krebs in unseren Eingeweiden explodiert?
Nein nein nein!
Wenn wir schreiben, fordern wir eine Autonomie von der Welt! Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Wenn wir schreiben, so schreiben wir nicht einfach die Welt ab (wie sollte das überhaupt gehen), sondern wir entwerfen Vorschläge, Änderungen, Forderungen, indem wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern wie sie für uns ist, und wie sie sein könnte, wenn man uns lassen würde, oder wie sie nicht wäre, niemals.
Wenn wir schreiben, so propagieren wir die Fiktion! Die Fiktion ist unsere kümmerliche Pfote, die aus der Mikrowelle der Wirklichkeit heraus nach süßen Früchtchen greift, die dort doch hängen müssen, an einem Baum oder meinetwegen auch an einer Wäscheleine oder an der Kralle eines dicken, fröhlichen Vogels, der dort hoffentlich seine freundlichen Runden dreht, wie dem auch sei: Wir wollen nach diesen süßen Früchtchen greifen! Wer sollte uns verbieten, nach diesen Früchtchen zu greifen! Wer will uns noch drohen, uns dann aus dem Paradies zu vertreiben, wir sind da ja gar nicht! Wir wollen Früchtchen fressen, viele süße Früchtchen! Jetzt geht’s los!
Es gibt einen Ort! Brüder und Schwestern, es gibt einen Ort! Ihr wisst, dass ich das Theater meine. Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, und es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision. Das Theater ist der Berg Harmaggedon!
Was sind Theaterstücke anderes als Anleitungen für die Wirklichkeit?
Das Theater ist der Ort, an dem die Fiktion in Wirklichkeit umgewandelt wird. Jaja, aber dann lasst uns das auch machen!
Machen wir doch!, rufen die Würstchenpeter des Bestehenden. Das aber, Brüder und Schwestern, ist eine Lüge, und ich bitte Euch, sie als solche zu erkennen.
Denn die Fiktion, die diese Pimmelschwäne für das Theater entwerfen, hat keine Autonomie. Im Wissen darum, dass die Fiktion aufsetzen wird auf der Landebahn der Wirklichkeit, passen sie diese an die Wirklichkeit an. So opfern sie die Fiktion auf dem Altaratartrara der Wirklichkeit. Dabei darf nicht die Wirklichkeit die Fiktion bestimmen, sondern die Fiktion muss die Wirklichkeit verändern! Oder ist es wirklich unser Wunsch, zu sterben? Ist diese Wirklichkeit etwa vollkommen? Was für eine blöde Frage: Nein, natürlich nicht, sie ist ungenügend, die Wirklichkeit ist ein löchriger Schuh, den wir uns so nicht anziehen werden!
Was also haben wir zu fordern in unseren Theaterstücken:
Dass die Bäume blühen im Winter,
dass die Straße nicht aufhört, wo das Feld beginnt,
die Bombe implodiert,
der Rauch aufsteigt, bevor das Feuer entzündet ist,
dass grünes grünes Moos auf unseren Köpfen wächst,
der Pelikan bellt,
die Würstchen nicht platzen bei hundert Grad und auch nicht im Topf,
wir Elefanten zeugen können mit unserer Hoffnung oder unserem Genital,
unsere Spucke nach oben fliegt,
wir wandern können durch die Zeit, querfeldein, wie durch den Raum,
dass das Sterben nicht mehr gilt, man uns das nicht mehr nimmt,
was uns das Einzige ist: Unser Leben.
Brüder und Schwestern, das unmögliche Theater ist möglich!
Es gibt keinen Grund, mir das zu glauben, also tut es trotzdem!
Im Namen der menschlichen Freiheit, des Freischütz, Freiburgs, Frischkäses, Friederikes:
Das unmögliche Theater ist möglich, trotz allem und gerade deshalb!
Aber lasst uns nicht glauben, es könnte gelingen. Lasst uns nicht glauben, wenn es gelänge, dann sei es gelungen. Wenn es gelingt, die Wirklichkeit zu verändern, ist es wieder mißlungen, ist es die Wirklichkeit, die überwunden werden muss, in die Ewigkeit hinein!
Wir dürfen in unseren Entwürfen nicht so tun, als gäbe es ein Heil, das eben zu erreichen sei, auf das wir uns setzen könnten, wie auf eine Frotteewärmflasche.
Das unmögliche Theater ist die ewige Forderung!
Das unmögliche Theater ist das fortwährende Scheitern in eine bessere Zukunft hinein und vorwärts in die Vergangenheit!
Das unmögliche Theater ist für den Menschen, aber auch für meine Katzen und die anderen Tiere (große und kleine)!
Es ist nicht, wie es ist! Es ist, wie wir wollen, dass es wird! So ist es! So ist es nicht!

3 Kommentare:

  1. Applaus, Applaus, oh ihr Verdammten der Realität - applaudiert endlich! Applaudiert doch endlich, applaudiert! Applaudiert! Warum applaudiert ihr nicht? Oh, warum applaudiert ihr noch nicht? Bitte - bitte, ich höre euch nicht ... ich kann euch nicht hören ... Warum applaudiert ihr denn nicht ...

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