Dienstag, 30. November 2010


In Berlin
ein verwinkeltes Mäusschen
Noch bevor der Zug kommt
kömmt, nein, kömmt,
im Schacht.
Die bedeckten, nackten
Silbenköpfe
in der Tasche
auf Papier.
Offene, bedeckte
Silben
Es kommt eben
darauf an, schau mal einer
an, es ist phonologisch
vorzugehen oder
morphologisch,
merkt euch das, ihr Habichte.
Und sagt mirs,
wenn ihr den
Silbenkopf seht,
ausserhalb seines
Randes!

Donnerstag, 25. November 2010

Der Schlachthausangestellte Jean Claudel erblickte bei seiner Arbeit am Nachmittag des 7. März 2008 im schwarzen Auge einer an einer Rohrbahn aufgehängten Schweinehälfte fünf singende Kinder, die auf einem Spielplatz leere Flaschen in den Himmel warfen, die seltsamerweise jedoch nicht wieder auf den Erdboden zurückfielen.

Mittwoch, 24. November 2010


GELBER POPEL. In: Lena Christ, Die Rumplhanni. Roman.
Neu überarbeitete Auflage. Rosenheimer Verlagshaus 2003.

Montag, 22. November 2010


"In Stahl gehüllt, vom Stahl umwittert.
Die Schar, die Reich um Reich zerbrach,
sie treten auf, die Erde schüttert,
sie schreiten fort, es donnert nach."

Goethe über die Dinosaurier


"Sein kleiner Kopf , nicht mehr als eine Anschwellung am Vorderende des Schlangenhalses, barg wenige schwache Zähne von Löffelform und ein kleines, armseliges Gehirn, das wohl wenig mehr zu leisten hatte als die Kiefer zu bewegen und die schwachen Eindrücke zu verarbeiten, die von den sehr begrenzten Sinnen dieses Untiers aufgenommen wurden. Die Hinterbeine des Monstrums wurden von einem übergroßen Nervenknoten gelenkt, der weit hinten an der Lendenwirbelsäule lag und um ein Mehrfaches größer war als das Spatzengehirn im Kopf."

Die Dinosaurier über Goethe



(Entnommen aus: Die größten Kommentkämpfe aller Zeiten. Gesammelt u. herausgegeben von Rodney Steel. Suhrkamp: Frankfurt a. M., 1979.)

Sonntag, 21. November 2010

Eine alte Frau fragt den Beamten hinter dem Schalter der Bahn, ob es sich lohne, noch ein fünfjähriges Halbtagsabonnement zu bestellen, oder ob sie besser, ihr hohes Alter pragmatisch berücksichtigend, nur noch ein einjähriges kaufen sollte. Wenn sie ein fünfjähriges kaufe, meint der Beamte, lohne es sich auf jeden Fall, noch fünf Jahre zu leben, weil sie dann fünfzig Franken spare, und sonst nicht. Eine Angst klopft leise, die alte Frau fühlt die warme Luft des ländlichen Warteraums unter den Achseln, sieht die unempfindlichen, klaren Augen des Beamten, hört, wie ein Zug kommt, grüsst, sucht etwas in ihrer Tasche, öffnet die Türe des Warteraums, fühlt eine Abwesenheit, betritt, wenn er noch da ist, den Zug, wenn er nicht mehr da ist, kehrt sie um, geht nach Hause, wenn das Haus noch da ist, wo es sein müsste, könnte sie damit etwas anfangen.

Besuch am Grab von Liesl Karlstadt


Vor 118 Jahren in München geboren.
Seit 50 Jahren in München tot.
Ist das ein Leben?

Freitag, 19. November 2010


Wer rennt über die Dächer, und ruft „Oskar, Oskar, wo bisch, wo bisch“?

Wer sagt dem Indianer mit dem Knüppel, „So lass nun ab von Lotzes Kopf, auch wenns schade ist um das fehlende Geräusch.“?

Wer rennt im Kreis wie ein Spächtli, und ruft: „jetzt isch er ja da, jetzt isch er ja da, rara, rara!“?

Wer sagt am selbigen Nachmittag, dem siebzehnten: „ischs jetzt dänn dä, isch jetzt dänn da“ - zu einer Kassiererin, die ihm den Kopf streichelt?

Wer lismet ein paar rote Söckli?

Wer zerdrückt in Gedanken eine Banänli?

Wer sagt: "hoihoi"?

Wer umarmt Nadja Wieser?

Wer umarmt Wolfram Lotz?

Wer grüsst Oskar Theo mit Harfen und Trompeten?

richtig:

Adalbert Spichtig! Adalbert Spichtig! Adalbert Spichtig!

Donnerstag, 18. November 2010

Mittwoch, 17. November 2010

Montag, 15. November 2010

Vorwärts plus 1






Mein Name ist Hans Offenbach. Ich bin, seit meiner Geburt, Gegenstand des sog. Börjeson-Forssman-Lehmann-Syndroms. Auf dem Weg zur Arbeit muss ich an vieles denken, die Gegenstände, die überall herumliegen, bemerke ich nicht: Münzen, Drahtzwillen, Zeitungsartikel, Visitenkarten, Ankündigungen für ein Musikfestival in der Ferropolis, blühende Ästchen, eben herniedergefallene Regentropfen auf dem grauen, unebenen Asphalt unserer Städte. (Pause.) Ich nehme den Telefonhörer ab. Im Norden der Stadt werden die Mülltonnen in die großen Müllwagen geleert, eine automatische Vorrichtung am hinteren Ende der Müllwagen hat es ermöglicht, ich frage mich... Es ist noch Schinken da, in meinem kleinen Kühlschrank. Ich lege den Hörer des Telefons zurück. Ein Briefträger schüttelt mit dem Kopf, ein Stern explodiert ganz still in seiner Galaxie 2,52 Millionen Lichtjahre entfernt, und ein kleiner fuchsartiger Hund, der eben durch die Anlage läuft, bellt nicht. Lange Zeit hatte es mir Spaß gemacht ,mit meinem gebrauchten Mercedes SL fast lautlos um die Kurven der Stadt zu fahren. Es gefiel mir, in großer Geschwindigkeit von meinem Auto aus in Ruhe die Stadt zu betrachten. Dann bog ich eines Morgens von der Zschocherschen Straße rechts in die Karl-Heine-Straße und sah eine Art Vogel auf einem Straßenschild vor einem dort ansässigen veganen Gastronomiebetrieb sitzen. Er bewegte sich nicht. Dann grub dieser Vogel plötzlich heftig mit seinem Schnabel in seinem eigenen Bauchgefieder herum und brachte einen Büschel hellen Flaums ans Licht. Und dann saß er wieder wie vorher, als sei er nicht lebendig, ein Vogel, eine Art Vogel aus Stein, nur das in der Spitze seines geschlossenen Schnabels nun die feinen Federchen eines Büschels Bauchgefieder in den Böen des ziehenden Sturmwindes flatterten. Es war mir, als würde dies nun niemals enden. Das alles sah ich und sah ich. Von dort, wo ich war. Ich sah es, von dort, wo ich war, dort aus meinem Gebrauchtwagen heraus, diesem schlimmen Kasten meines veruntreuten Lebens. Da verlor ich alle Lust an der Fahrerei und ging in Zukunft immer zu Fuß. Jetzt sah ich nichts mehr. Ich habe aber das Auto noch, meinen Mercedes SL; es steht bei uns in der Garage, und niemand benutzt es, nur meine Mutter, wenn sie zum Arzt muss. Vielleicht bekomme ich ja doch eines Tages Lust, selbst wieder damit zu fahren. (Pause.) Vor 700 Tagen war mein 62. Geburtstag.


Aus: Hannes Becker - Westliche Werte





Samstag, 13. November 2010

Es ist hier, nur weil es hier für uns gut ist, nicht alles gut, was oder weil überhaupt etwas für uns gut ist.

Donnerstag, 11. November 2010

WOLPERTINGER DER WIRKLICHKEITEN





Dramatischer Essay von Wolfram Lotz für das experimentelle Theaterprojekt Cold Calls

Erarbeitet und geschrieben vom 19. bis zum 30. Oktober 2010 in Stuttgart

UA: 4. November, Rotebühltheater Stuttgart


Für Edda, Karin, Petra, Eva und Andi.

(Die Einzigen, die dieses Stück spielen können.)


im theater ist nur theater echt.

(das ist aber gar nicht schlimm.)


(Die echte Call-Center-Agentin Karin allein auf der Bühne am Mikrofon.)

Karin: Guten Abend,

meine Name ist Karin Wittmaack,

ich nehme an, ich spreche mit dem Publikum?

Klammer auf, keine Pause, Klammer zu.

Gut.

Ich spreche mit Ihnen, weil bzw. obwohl ich als Call-Center-Agentin gearbeitet habe bzw. arbeite.

Ich habe per Telefon Reinigungsmittel verkauft, ich habe Schraubenzieher-Sets verkauft, Mikrofasertücher habe ich verkauft, Blumenvasen, Schrubber, Motoroller, Jeanshosen, Armbanduhren, Standuhren, Schimmelentferner, Bausparverträge, Aloe-Vera-Lotionen und Tupperschalen. Ich habe vergoldeten Schmuck verkauft, ich habe Goldschmuck verkauft, ich habe auch Gold verkauft, einfach so, als Barren, ich habe Bohrmaschinen verkauft, Herrenunterhosen, Dampfreiniger, Alufahrräder, Türkeireisen und Bodies, in denen man schlank erscheint, aber fast keine Luft kriegt. Ich habe Feuerversicherungen für Reetdachhäuser verkauft, so ein Anstreichding, Magic Roller heißt das, habe ich verkauft, ich habe Schiffsbeteiligungen verkauft, Ölgemälde und Kirby, den Superstaubsauger, ich habe romantische Gletscherfrühstücke verkauft, Rentierfahrten und einen Tag mit den Ludolfs habe ich verkauft, ich habe Puppen aus Biscuit-Porzellan verkauft mit Zertifikat und einen kleinen Ofen zum Backen mit Glasdeckel, den man nach Gebrauch einfach in Gänze in die Geschirrspüle stellen kann.

Joa. Das hab ich alles massenhaft per Telefon verkauft.

Es geht mir heute darum, Ihnen einen Theaterabend anzubieten,

wenn Sie nichts dagegen haben.

Klammer auf, keine Pause, Klammer zu.

Gut.

Dieses Angebot beinhaltet,

dass ich hier heute körperlich anwesend bin auf einer Bühne,

es ist also ein besonderes Angebot.

Ansonsten spreche ich ja immer nur mit den Leuten am Telefon.

Ich habe dann ein Head-Set auf und sitze irgendwo anders.

Heute sitze ich aber nicht irgendwo anders, sondern ich stehe hier.

Heute bin ich also körperlich anwesend, wie Sie ja sehen können.

Wenn Sie damit einverstanden sind, möchte ich Ihnen zusätzlich anbieten, dass nicht nur ich hier den Abend für Sie gestalte,

sondern dass zum gleichen Preis noch vier weitere Call-Center-Mitarbeiter diesen Theaterabend für Sie gestalten.

Klammer auf, keine Pause, Klammer zu.

Gut.

Sie werden sich sicherlich die Frage stellen, ob Sie so etwas gebrauchen können?

Darum geht es aber heute Abend nicht, denke ich mal.

Es geht heute Abend um Kunst. Die Frage ist also überflüssig: Denn bei Kunst geht es nicht darum, ob man sie gebrauchen kann, denke ich mal, sondern es geht vielleicht sogar eher darum, dass man sie nicht gebrauchen kann. Und ich nehme doch an, dass Sie zu einer Theateraufführung gehen, weil Sie Kunst erwarten?

Klammer auf, keine Pause, Klammer zu.

Gut.

Ich meine, mit der Kunst ist das doch so, wie mit manchen Sachen, die ich per Telefon verkauft habe: Die Leute kaufen sich so was, und eigentlich können sie es gar nicht gebrauchen. Dann haben sie es, und es stört eigentlich nur, oder es steht einem im Weg rum. Da will man dann die Sachen machen, wie man sie immer macht, aber da steht plötzlich dieses Ding herum, das man sich per Telefon hat aufquatschen lassen, und stört einen dabei. Und so ist das doch auch mit der Kunst, dass die einen dabei stören muss, bei den Dingen, die man so ganz selbstverständlich immer macht, wie so ein Kirby-Superstaubsauger, der einem plötzlich im Weg herumsteht.

Zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen sagen, dass ich tatsächlich eine echte Call-Center-Agentin bin. Ich bin keine Schauspielerin. Ich weiß, dass viele Leute Angst haben, dass ich sie betrüge, wenn sie hören, dass es eine Call-Center-Agentin ist, die mit ihnen spricht. Die Leute haben Angst vor Call-Center-Agenten, weil sie davon ausgehen, dass Call-Center-Agenten sie grundsätzlich betrügen und belügen.

Ich kann Ihnen aber versichern, dass ich Sie nicht betrüge und auch nicht belüge, ich bin, wie ich Ihnen das ja schon versichert habe, tatsächlich eine echte Call-Center-Agentin, keine Schauspielerin.

Edda: (Lesend und eben dies ausführend.) Klammer auf. Edda betritt durch eine Tür, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht, die Bühne, bzw. den Teil der Bühne, der vor der Tür ist, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht. Klammer zu.

(Zum Publikum, frei.) Guten Abend, ich bin Edda Hillmann. Ich bin 1998 Call-Center-Agentin geworden, weil ich arbeitslos war, und einfach irgendwas machen wollte. Ich hatte in der Zeitung die Stellenangebote immer wieder gesehen, dann habe ich mich mal beworben. So war das.

(Edda geht wieder aus der Tür, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht, von der Bühne, bzw. auf den Teil der Bühne, der hinter der Tür ist, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht.)

Andi: (Lesend und eben dies ausführend.) Klammer auf. Andi kommt kommt durch einen Vorhang, der nur da ist, damit Andi durch ihn hindurch auf die Bühne kommt, auf die Bühne. Klammer zu.

(Frei sprechend.) Also Darstellen als Spiel in der Schule, ne, weil das das Leichteste war und dann natürlich kamen die Weihnachtsvorstellungen vor den ganzen Eltern, wo man dann mal auf der Bühne steht und einen Engel spielt, ne... Aber es kommt noch schlimmer: Ich hab dann noch einen Baum gespielt, da war der Text kleiner... es gab ’nen Text für den Baum, ja... ah ich weiß nicht mehr, es ging darum, dass die Märchenwelt sich streitet, weil Dornröschen kann sich nicht mehr stechen, weil es dornenlose Rosen gibt und so, die Bäume wundern sich, wo die Pilze sind, und die ganzen Rotkäppchensachen und so, und dann fragt er halt: Hast Du Rotkäppchen gesehen? Ach, schon monatelang nicht mehr, so war es im Text... Ja, so also, das also auf der Bühne halt, ja in der Hauptschule und naja sonst im Theater, nee, war ich eigentlich gar nie als Zuschauer.

Edda: Es ist vielleicht auch so, ich muss nichts tun und trotzdem lebe ich, erlebe ich alles als Zuschauer. Jetzt einfach nur. Hm. Eigentlich muss man nichts tun, man kann da sitzen und wird unterhalten.

(Petra erscheint aus einer Bodenklappe im Bühnenboden.)

Petra: Ich finds eigentlich authentisch, also, was ich schon so erlebt habe, dass dieses lange Klatschen wirklich auch so hoffentlich gemeint ist, glaub ich schon… also ich habs eigentlich wenn man selber im Publikum sitzt dann empfindet man also schon also ich meine es gibt schon ein zwei Male wo man sagt, ne das hat mir jetzt nicht so wirklich gefallen, aber ich denke schon, dass das authentisch ist auch wirklich so ein Stück einfach auch Anerkennung für die Leistung…

Edda: Kommt auch auf das Niveau an - von dem Theater. Viele gehen vielleicht auch hin und sagen: ah ich war ja hier und da, warst du auch schon da? – und haben überhaupt nichts verstanden. Das is ja, war ja auch in diesem Stück, wo die Frauen praktisch umsonst mitspielen weil sie geschmückt dahin gehen, ne? Anstatt…war das auch so was?

Andi: Ich denke, so ganz groß. Ist sehr, sehr verwandt. Aber man tut ja auch ... ich glaub, der Schauspieler lenkt und führt ja. Also wenn ich jetzt was mache auf der Bühne, dann will ich ja die Leute lenken. Ich sage, okay, jetzt spiele ich die Person. Jetzt lenke ich die dahin. Okay, die wissen, was ich mache. Die wissen, wie... die haben einen Glauben an mich, ne? Ich führe die ja durch das Stück durch, ne? Und genauso ist ja der Agent, der Call-Center-Agent auch, ne? Du tust ja auch die führen und leiten, ne? Du weißt ja das Ende schon, ne? Genau wie ... Genauso wie auf der Bühne der Schauspieler das Ende auch weiß. Ne? Er weiß, zum Schluss kommt die Todesszene. Und genauso kommt die Todesszene am Telefon zum Schluss, ne? Entweder hab ich den Verkauf oder ich hab ihn nicht. Ne?

Karin: Ich habe mal Schiffsbeteiligungen verkauft an Anwälte, Steuerberater, das waren die besten Kunden, die haben gekauft wie blöd als ob es morgen nichts mehr gibt, ehrlich… So kleine Tankschiffe ähm also Schiffsbeteiligung ist ja auch heute immer noch ein Thema, da invenstieren ja wirklich viele Leute weil das wirklich lukrativ ist, anders als bei Aktien jetzt. Also in Hamburg sowieso. Die kleinen Werften, also die haben so mittelgroße Schiffe, Frachter, Tankschiffe, und da kaufen sich die Zahnärzte, Anwälte, Steuerberater, die kaufen sich da ein, aber richtig… das funktioniert. Das ist richtig. Also die beteiligen sich so im Schnitt liegen die Summen so bei Fünfzigtausend.

Edda: Viele Leute äh macht man ja auch glücklich damit, also die können das gebrauchen, das ist nicht immer schlecht.

Petra: Mir fällt jetzt noch etwas anderes ein zu diesem Thema, was ist schlimm anzurufen, also jetzt nicht das Produkt, sondern wie man anruft, und das sind Steuerberater, Steuerberater sind entsetzlich….

(Eva betritt die Bühne.)

Eva: Anwälte!

Petra: Anwälte sind ok…

Eva: Echt?

Karin: Und Lehrer.

Petra: Warum die so schlimm sind? Äh Steuerberater sind zu einem sehr, sehr trockene Typen und auch sehr humorlose, mit denen kommt man nicht so in ein lockeres Gespräch rein, die sind dann auch recht kurz angebunden, ‚warum rufen Sie an’ und wollen sofort auf den Punkt kommen und sagen dann auch und sind dann ganz schnell am Auflegen, die kann man ganz ganz schlecht in ein Gespräch verwickeln, ja, das ist also ganz, ganz schwierig.

Karin: Lehrer sind… also wenn ich Lehrer, ich hab schon das Gefühl, ich höre das schon raus wenn das Lehrer sind und meistens… ja die haben ne ganz eigene Art am Telefon, also ich kann das gar nicht beschreiben, aber Lehrer, och ne, geht gar nicht...

Eva: Die kaufen auch nichts am Telefon!

Karin: Nee, die kaufen gar nichts, nein, nein, das sind so Oberschlaue, die einen am Telefon echt noch belehren!

Eva: Nee, die Devise ist, dass man das nicht macht, dass man freundlich bleibt und auflegt, wegen der Firma einfach, das ist der Ruf, du schädigst ja dann den Ruf.

Edda: Also die Männer müssen immer denken, also habe ich immer so gedacht, dass man als Verk.., die wollen das auch denken, dass man selber ’ne gutaussehende Frau ist, und die Frauen wollen, dass man sehr nett ist... Also finde ich so, ne?

Andi: Also man wird wirklich beeinflusst mit Sachen, wie zum Beispiel, so ein Knopf mit Kerzen hin oder so. Es gibt Wellengeräusche im Hintergrund bei Reisefirmen. Und so. Also.

Edda: Oft ist es auch so, da hast du gedacht: ach die sind aber nett und dann hörste wenn die auflegen sagen die zu ihrem Partner oder so: Scheiße…. Das ist auch nur Theater. Obwohl die gekauft haben. Viele können da nicht nein sagen und dann sagen sie: ja schicken sie mir das zu und dann legen se auf… ach Scheiße! Und ich frag mich auch, wenn da nachher vielleicht geklatscht wird, ob das dann auch so gemeint ist, oder ob halt geklatscht wird, also manche, weil die nicht nein sagen können auch.

Eva: Kömma vielleicht erstmal... das geht ja schon total durcheinander, dass wir erstmal versuchen, so ’nen Eindruck zu geben davon, was wir so machen, eigentlich.

Karin: Ja, genau. Dass man sich das so vorstellen kann, also auch wie so ein Arbeitsplatz auch aussieht. (Zum Publikum.) Sie müssen sich ein Großraumbüro vorstellen, in dem man sitzt, und vor einem und rechts neben einem ist jeweils eine blaue Stellwand, um den Schreibtisch herum, auf dem ein Bildschirm steht und die Head-Set-Funkstation und ein Notizblock, und auch an die blauen Stellwänden sind Notizen gepinnt, aber nichts Persönliches, das darf man nicht, ich hatte mal ein Bild von meiner Schwester und ihrem Kind da aufgehängt, das musste ich dann aber wieder abhängen. Und man sitzt da auf einem drehbaren Bürostuhl und im Rücken steht eine Palme, da ist nicht viel Platz, wenn man mit dem Bürostuhl zuweit vom Schreibtisch zurückgeht, dann sticht die einen in den Rücken. Und hinter der einen blauen Stellwand zur Rechten ist dann die Fensterfront, und da blickt man hinab auf einen ziemlichen weiten grauen Parkplatz.

Eva: Ja stimmt. Man muss sich das wirklich als Großraumbüro vorstellen, und auch die blauen Stellwände sind da, und die blauen Stellwände sind aber eigentlich grüngraue Stellwände um den Schreibtisch herum, auf dem der Bildschirm steht und die Head-Set-Funkstation und der Notizblock, ein Terminnotizblock, ein Terminkalender also, und an die Stellwände sind Notizen gepinnt, und auch das Foto von der Frau und dem Kind hängt da wieder, das habe ich wieder hingehängt, allerdings ist die Frau ein Mann, so hängt das da jetzt. Und man sitzt da wie gesagt auf einem drehbaren Bürostuhl, genau, und wenn man mit dem Bürostuhl zurückgeht, ist da die Palme, also die Palme steht eigentlich links vom Schreibtisch, eine Laubpalme, so ein Benjamin-Baum-Palmendings, und wenn man zu weit mit dem Stuhl zurückgeht, also nach links zurückgeht, also eigentlich nach links geht, dann sticht sie einen. Und hinter den blauen Stellwänden, die ja nicht so richtig blau sind, sondern eher so graugrün, ist wie gesagt die Fensterfront, und dahinter ist ein ziemlicher weiter Parkplatz, also genauer gesagt, ein großer Platz, also eigentlich ist da ein Park, der sich recht weit da erstreckt.

Andi: Ja, genau. Also ein großer Raum, das ist ja schon gesagt worden, ich kann das jetzt nur wiederholen, und die blauen Stellwände, die sind auch nicht blau, das stimmt, und da hängen die Notizen dran, aber die liegen auf dem Tisch und der Terminkalender und die Head-Set-Funkstation, allerdings eine mit Kabel, also ohne Funk, und die persönlichen Notizen, die nicht erlaubt sind, und auf dem Foto, das ich abhängen musste, das steht neben dem Bildschirm, ist ein Park abgebildet mit so Laubpalmen, oder Benjamin-Laubbäumen, ich kenne mich mit Bäumen nicht so aus, und der drehbare Bürostuhl, wenn man sich da zu sehr zurücklehnt, auf Dauer meine ich, dann sticht es irgendwann im Rücken, das liegt an dem Stuhl, der ist nicht drehbar, das bringt mich manchmal auf die Palme, ich müsste einen anderen kaufen, und das alles steht da vor den blauen oder graugrünen Stellwänden, oder es kommt einem so vor, je nach Wetter, weil da eigentlich die Fensterfront ist, die da wie eine Stellwand steht, und dahinter ist die Weite, eine ziemliche Weite auf die man da hinausguckt, ein graugrüner oder blauer Himmel, je nachdem, also wie gesagt, ich kann das jetzt nur wiederholen.

Petra: Ja, genau. Also eigentlich kann ich da gar nicht mehr viel hinzufügen. Also, wie gesagt, ein größerer Raum, das Büro, und die blauen Stellwände oder graugrünen, die ja, wie gesagt so nicht da sind um dem Schreibtisch herum, die stehen ja da gewissermaßen nicht um den Schreibtisch herum, also vorne und zur Rechten stehen die so nicht herum, und daran hängen eben die persönlichen Notizen, die auf dem Schreibtisch liegen neben dem Bildschirm, dem Terminkalender und der Head-Set-Funkstation, mit der das Head-Set verkabelt ist, das geht wie gesagt über Kabel, nicht über Funk, das ist da auf dem Schreibtisch, und da hängt das Foto, das ich abhängen musste, da ist mein Mann darauf, wie er in einem Park steht, und die andere Hälfte, das Foto von meinen Kindern, das musste ich irgendwie abhängen, also das steht in der Küche jetzt, bei mir zuhause, das Büro ist, wie gesagt, bei mir zuhause, also der Schreibtisch, und der nicht drehbare Bürostuhl, also eigentlich ein normaler Stuhl steht da bei mir im Büro, und hinter den Stellwänden, die graugrün sind und blau und – wie gesagt – gar nicht da sind, ist die Fensterfront, und wenn man da hinausblickt sind da Laubpalmen, also nicht so richtig, aber die stechen da so ins Bild hinein, also das Bild, auf das man guckt, wenn man da hinausblickt aus der Fensterfront bei mir zuhause, wo dann das Meer ist, je nachdem, vom Wetter abhängig, meistens blau, aber wenn es stürmt graugrün, und dann blickt man da aus dem Fenster wie auf eine weite Stellwand, und die Schiffe liegen da im Hafen, sind da geparkt, auf dem blauen Meer oder graugrünen wie Notizen auf einer Stellwand, wenn es stürmt, ein ganz graugrünes Meer, auf dem die Bötchen parken wie Notizen auf einem Parkplatz, auf einem graugrünen Parkplatz, und das ist, wie gesagt, das Meer bei mir zuhause, ich wohne ja auf Teneriffa, und arbeite von da aus als Call-Center-Agentin, nicht wahr?

Karin: Ja, kann ich mich nur anschließen.

Eva: Ja, wie gesagt.

Andi: Ja, so in etwa sieht ein typischer Arbeitsplatz eines Call-Center-Agenten aus.

Edda: Also ich weiß nicht, ich finde das schon ein bisschen problematisch, dass Ihr versucht, den Leuten so zu verkaufen, dass es so einen typischen Call-Agent-Arbeitsplatz gäbe. Ich habe da ehrlich gesagt ganz andere Erfahrungen gemacht, das war immer ganz unterschiedlich.

Eva: Ok, Edda, aber das sind Deine subjektiven Erfahrungen, die kannst Du jetzt nicht verallgemeinern. Wir haben da einfach andere Erfahrungen gemacht.

Edda: Ja, aber Ihr könnt jetzt auch nicht einfach so tun, als wäre ich und das, was ich bezüglich des Aussehens von Call-Center-Arbeitsplätzen erlebt habe, untypisch.

Petra: Entschuldige mal, Edda, aber Du wirfst uns jetzt alle in einen Topf. Das finde ich ein bisschen daneben. Ich zum Beispiel habe gar nicht gesagt, dass Du untypisch bist bezüglich Deiner Erfahrungen, was einen typischen Call-Center-Arbeitsplatz angeht.

Edda: Ok, dann war es vielleicht einfach ein Missverständnis.

Karin: Kann sein, dass Du das so siehst, ich sehe das aber anders.

Edda: (Höflich.) Ja, Karin, dann sag doch bitte auch mal, wie Du es siehst, und halte Dich nicht immer raus.

Karin: (Unfreundlich.) Nicht in diesem Ton, Edda! Nicht in diesem Ton! Vielleicht ist es für Dich normal, in diesem Ton mit anderen Leuten zu reden, aber nicht für mich!

Andi: Für mich auch nicht.

Petra: Für mich auch nicht.

Eva: Für mich eigentlich auch nicht, aber wenn man so am Telefon beschimpft wird, dann habe ich schon auch Lust, mal unfreundlich zu werden. Darf ich nicht, aber manchmal habe ich da Lust, was man sich da so anhören muss.

Andi: Das ist echt manchmal krass...

Karin: Jo, da biste manchmal, wenn die ’nen schlechten Tag haben, dann biste gleich an allem Schuld, am Ozonloch oder was, oder an den Kindern in Afrika biste Schuld, wenn die ’nen schlechten Tag haben.

Andi: Oder du rufst an, und dann sagen die: was ruft Ihr uns immer an, weil da hat vorher irgendjemand anderes angerufen, und das weißt du ja nicht, und dann geht’s los...

Petra: Ja, so wie: Ich habe es Euch schon so oft gesagt, das ihr mich nicht mehr anrufen sollt. Dabei hat man die ja noch nie angerufen.

Eva: Oder: Ich kaufe nichts – und gleich aufgelegt. Oder: Es ist verboten, mich anzurufen, ich verklage Euch.

Alle: Oder: Ihr stört mit Eurer penetranten Art. Ihr klaut meine Arbeitszeit. Oder: Ich möchte nicht von Euch belästigt werden. Ihr wollt mir hier nur was verkaufen, Ihr Scheißverkäufer. Ihr verstoßt gegen die Regeln, gegen die Regeln des Anstands. Ihr wollt nur unsere Namen. Ihr interessiert Euch für Dinge, die Euch nichts angehen. Ihr wollt ja nur meine/unsere Daten. Ihr wollt unsere beruflichen Daten. Ihr wollt unsere privaten Daten. Ihr wollt nur wissen, was mit uns los ist. Ihr wollt nur wissen, wie wir ticken. Ihr wollt Euch nur an uns bereichern. Ihr wollt, dass wir uns an Euch verkaufen. Ihr wollt unser Privatleben. Ihr wollt unsere Intimsphäre. Ihr wollt unser Elend haben. Ihr wollt unsere vermeintliche Unterschicht haben. Ihr wollt unsere Armut haben. Ihr wollt unsern Reichtum haben. Ihr wollt unser Protzleben haben. Ihr wollt unsere Lächerlichkeit haben. Ihr wollt wissen, wer wir wirklich sind. Ihr wollt uns begaffen. Ihr wollt alles von uns haben. Ihr wollt unsere Körper haben. Ihr wollt unsere Echtheit haben. Ihr Unbeteiligten. Ihr klammheimlichen Privatpornographen. Ihr Sozialinteressierte. Ihr Sozialspanner. Ihr perversen Eierköpfe. Ihr Voyeurnasen. Ihr Menschendarsteller. Ihr Gucklochficker. Ihr gebildeten Klassen. Ihr Reinigungskraftbezahler. Ihr Häppchenfresser. Ihr Knicker. Ihr Fein-Rumsitzer. Ihr Bioladeneinkäufer. Ihr Echtheitsfetischisten. Ihr Gaffnasen. Ihr Staatsbürger. Ihr Oben-Bleiber. Ihr Berufsdemonstranten. Ihr Modernes-Theater-Kenner. Ihr Pimmelschwäne. Ihr Foucaultleser. Ihr Euch-immer-nicht-dazu-Zähler. Ihr Theatersesselfurzer.

(Karin, Andi, Eva und Edda gehen von der Bühne und setzen sich auf die hinten im Bühnenraum stehenden Stühle.)

Petra: Ihr Zuschauer. Ich hoffe, Sie haben es nicht in den falschen Hals bekommen? Es war ja nur so ein Dings, so ein intertextuelles Dings, Referenzdings, Sie wissen schon. Aber das ist halt manchmal schon echt heftig, weil das halt zum Teil auch einfach Vorurteile sind. Wenn ich sage, dass ich Call-Center-Agentin bin, dann sagen sich viele Leute gleich, so und so ist die, aha, die zockt nur Leute ab. Ich zum Beispiel arbeite aber im B2B-Geschäft. B2B heißt Business to Business, ist also etwas anderes als das B2C-Geschäft, also das Business-to-Customer-Geschäft. Das heißt, im Regelfall rufen Unternehmen mich an, und ich beantworte Fragen im Auftrag von Unternehmen.Tatsächlich bin ich deshalb nicht brauchbar, hat mir der Autor des Stücks, Herr Lotz, gesagt, also Wolfram, wir duzen uns ja inzwischen, obwohl mir das gar nicht so recht ist. Er hat gesagt, dass sich einfach kein Konflikt auftut, da ich ja niemanden über den Tisch ziehe, meistens rufen mich die Unternehmen an und brauchen Hilfe, und ich helfe ihnen dann und berate sie und das tut mir wiederum leid für Sie, weil das ja nicht besonders interessant ist für Sie, Sie erwarten ja etwas von mir, einen Konflikt, denke ich. Das war mir auch vorher so gar nicht klar, dass ich unbrauchbar bin hier.

Das ist schon ein komisches Gefühl, so zu wissen, dass man unbrauchbar ist.

Im Grunde genommen bin ich eine Fehlbesetzung.

Das tut mir auch leid für Sie. Da hätte ich vorher mal darüber nachdenken sollen, klar...

(Edda betritt durch eine Tür, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht, die Bühne, bzw. den Teil der Bühne, der vor der Tür ist, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht.)

Edda: (Zum Publikum, frei.) Guten Abend, ich bin Edda Hillberg. Ich bin 1994 Call-Center-Agentin geworden, weil ich arbeitsmüde war, und nicht einfach irgendwas machen wollte. Ich habe im Internet Stellenangebote gesehen, dann habe ich mich mal beworben. So war das.

(Edda geht wieder aus der Tür, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht, von der Bühne, bzw. auf den Teil der Bühne, der hinter der Tür ist, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht.)

Petra: (Ratlos.) Warteschleife.

(Petra geht von der Bühne. Ein Drehorgelmann beginnt am Bühnenrand zu spielen. Petra, Karin, Andi und Eva bauen die Tür ab und an anderer Stelle auf der Bühne wieder auf. Petra holt von hinten eine Topfpalme, stellt sie auf die Bühne, betrachtet sie kritisch, bringt sie wieder von der Bühne nach hinten. Edda pustet die Bühne mit einer Nebelmaschine voll.

Dann setzen sich Karin, Andi, Petra und Edda hinter der Bühne vor der Wand auf die dort stehenden Stühle. Als der Rauch etwas verflogen ist, hört der Drehorgelmann auf zu spielen und Eva kommt aus ihm hervor auf die Bühne.)

Eva: Einmal habe ich mit jemandem telefoniert... Das ist komisch gewesen. Also man hat sich halt dann so na unterhalten. Und die Stimme ist ja ... auf Gegenseitigkeit hat das beruht, man war sich da gegenseitig sympathisch. Oder es hat die Chemie gestimmt, kann man sagen. Hat man einfach gemerkt. ... Na, klar. ... Ja, das kann ich schwer beschreiben. Aber man hat so rumgeflachst. Es hat so über den Humor angefangen dann. Also von der anderen Seite kam dann eben ... Es war auch nicht aufdringlich. Da bin ich auch allergisch. Also normal mache ich so was ja auch nicht. Oder macht man ja nicht, dass man das Berufliche hier privatisiert. Aber das war einfach so ... das hat mich angesprochen. Der hat da irgendwie so ein ... hat irgendwie was gehabt, wo mich dann ... ja. Bin ich irgendwie ein bisschen weich geworden. Ja. ... Genau. ... Richtig. Aber es war so, dass es mittendrin ... Ich hab da zwar meinen Satz oder vorgetragen, um was es ging etcetera. Und dann kam man erst über das Produkt dann zum ... hat man da erst so ganz förmlich noch gesprochen und dann hat sich das immer ein bisschen ausgeweitet. Es waren aber allerdings mehrere Gespräche. Nicht bei dem einen ist es geblieben. Sondern der Herr hat dann nochmals angerufen und nochmals angerufen. Also ein bisschen zeitversetzt und dann hat man ... Das war eigentlich auch so eine Pflegeserie. ... Es war schon ziemlich feminin, ne? Er hatte erst gemeint, dass es ... ja, dass er das eigentlich für seine Mutter im Grunde genommen interessant ... also es war ein Blödsinn. Weil es hat ihn gar nicht interessiert. Es war mehr Flachs. Und es ging ja auch gar nicht um das Produkt. Also das hätte er nicht gekauft. Überhaupt nicht.

Und ich weiß jetzt nicht, ob er da ist. Wir kennen uns ja nur von der Stimme. Eigentlich hat er... also hast Du, wenn Du da bist... ja gesagt, dass wir uns hier vielleicht sehen. Aber ich kann Dich ja nicht sehen, wir kennen uns ja nur von der Stimme. Also falls Du da sein solltest, dann ist das Lied, das ich jetzt gleich singe, für Dich.

Ja.

Ich möchte Dir noch kurz sagen, wenn Du da bist, dass Du Dir dann bewusst sein solltest, dass ich natürlich auf der Bühne ganz anders wirke als im echten Leben. Nur, damit Du Dir.. weil man sich ja sonst falsche Vorstellungen macht. Hier auf der Bühne ist ja das Licht ganz anders, man wirkt ganz anders, als man dann ist. Naja, das wirst Du ja wissen, wenn Du da bist.

(Eva guckt fragend ins Publikum, mustert fragend ein paar Männer, in der Hoffnung, derjenige gäbe sich zu erkennen.)

Gut, ich singe jetzt das Lied für Dich. Ein wenig aufgeregt bin ich schon.

(Eva nimmt das Mikrofon in die Hand, räuspert sich.)

(Sehr schön und zerbrechlich singend.) Guten Abend, spreche ich mit Dir persönlich?

Sehr gut. Ich möchte Dir ein Angebot unterbreiten,

wenn Du nichts dagegen hast:

Und zwar geht es um eine Pflegeserie?

Optimal für jeden Typ

Schonende Pflege, für eine zarte, weiche Haut

Auch für den Mann von heute.

Würde da Interesse bestehen?

Gerne schicke ich...

(Pause. Deprimiert vor sich hin sprechend.)

Ach... entweder man nimmt es ernst, oder man lässt es.

(Sie lässt das Mikrofon fallen. Im Abgehen vor sich hin:) Das ist hier doch alles bloß Zynismus. (Betretene Stille. Eva geht und setzt sich hinter der Bühne im Bühnenraum auf die dort stehenden Stühle.)

(Andi geht verunsichert in die Bühnenmitte. Er versucht sich noch mal zu konzentrieren.

Er blickt in die Höhe.)

Weibliche Stimme aus dem Off: Hallo?

Andi: (Den Text teilweise ablesend, teilweise den Text auswendig sprechend.) Ja hallo, Andreas Miedler hier. Spreche ich mit Hamlet?

Hamlet: Ja, klar.

Andi: Guten Abend, Hamlet. Haben Sie gerade etwas Zeit?

Hamlet: Nee, eigentlich ist es gerade superschlecht. Worum geht’s denn?

Andi: Ja, ich stehe hier gerade auf der Bühne und müsste einen Text mit Ihnen aufsagen. Also mit einer richtigen Theaterfigur, und da sind Sie mir als erstes eingefallen.

Hamlet: Nee, also das geht jetzt gar nicht. Mal eben so, oder wie?

Andi: Ja, ich weiß, das ist jetzt ein bisschen überfallartig, aber ich habe eben den Auftrag, mit einer Theaterfigur den Text zu sprechen, und da...

Hamlet: Aber das ist doch nicht mein Problem!

Andi: Ja, aber Sie sind doch sicher ein offener Mensch, oder?

Hamlet: Nein, ich bin eine Figur.

Andi: Ja, meine ich ja. Aber ich meine: Sie sind doch sicher eine Figur, die für vieles offen ist, denke ich mal?

Hamlet: Ja, nee, aber nicht mal eben so.

Andi: Ja aber es könnte ja auch eine Erfahrung für Sie sein. Sie, Hamlet, würden diese Szene mit mir, dem Call-Center-Agenten Andi, sprechen!

Hamlet: Genau! Hamlet und der Call-Center-Agent Andre!

Andi: Andi.

Hamlet: Ja, Andre, Andi, das ist doch völlig egal!

Andi: Ich kann Ihre spontane Ablehnung ja irgendwie verstehen, aber es würde mir natürlich auch helfen, wenn Sie versuchen würden, mich auch zu verstehen, dass ich hier mit Ihnen diese Szene...

Hamlet: Ja aber dann sprechen Sie diese Szene eben nicht!

Andi: Ja, aber ich muss ja...

Hamlet: Wer sagt das?

Andi: Der Vertrag. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, dass ich hier die Szenen spielen muss, die man mir gibt.

Hamlet: Ja, das hätten Sie sich eben vorher überlegen müssen, bevor Sie diesen Vertrag da unterschrieben haben. Das ist aber nicht mein Problem.

Andi: Aber ich wusste ja nicht, dass ich mich selbst spielen muss. Und jetzt muss ich diesen Text hier aufsagen, den ich vielleicht selber blöd finde. Ich muss das ja auch machen, ich kriege ja auch Geld dafür, und ich muss ja auch irgendwie mein Kind ernähren.

Hamlet: Ja, aber Sie beklagen sich, dass Sie es machen müssen, dabei kriegen Sie ja Geld dafür!

Andi: Ja, aber wegen dem Geld muss ich es ja machen!

Hamlet: Aber ich muss es ja auch nicht machen! Ich brauche ja kein Geld!

Andi: Ja, weil Sie eine Figur sind, weil Sie nicht an die Realitäten gebunden sind! Aber ich bin an die Realitäten gebunden!

Hamlet: Aber Sie sind doch auch eine Figur!

Andi: Aber doch nur jetzt! Ich bin doch sonst keine Figur!

Hamlet: Aber dann können Ihnen diese Realitäten ja zumindest jetzt – als Figur – egal sein!

Andi: Aber das ist eben nicht so einfach!

Hamlet: Na klar. Warum denn nicht?

Andi: Weil ich irgendwie gleichzeitig immer noch ich bin! Ich bin vielleicht eine Figur, aber dann spüre ich, dass mein Körper da ist, also ich meine: der Körper vom echten Andi, der Körper von vorher ist ja noch da, auch wenn ich jetzt eine Figur bin.

Hamlet: Ja was weiß ich, was mit Ihrem Körper ist!

Andi: Ihnen ist das vielleicht egal, weil Sie so gar nicht da sind.

Hamlet: Natürlich bin ich da: Ich spreche ja mit Ihnen!

Andi: Ja, aber nicht so richtig! Ich meine: Wo sind Sie denn?

Hamlet: Na hier!

Andi: Ja wo denn genau!

Hamlet: Na hier!

Andi: Wie auch immer. Aber ich bin eben noch so anders da.

Hamlet: Schön für Sie!

Andi: Nee, eben nicht! Weil ich jetzt so komisch da bin! Weil ich Andi bin, und dann bin ich Andi, aber die Figur Andi!

Hamlet: Aber ich bin doch auch eine Figur und jammer nicht!

Andi: Aber ich bin ja eben nicht nur die Figur, ich bin ja eigentlich keine Figur, nur irgendwie bin ich jetzt auch eine Figur!

Hamlet: Sein oder nicht sein oder was, blabla und so.

Andi: Ja! Diese Künstler da, die Künstlerfrisuren, dieser ungewaschne Autor, die wollen mich auflösen!

Hamlet: Wen wollen die denn auflösen?

Andi: Na mich!

Hamlet: Wen meinen Sie denn jetzt? Den echten Andre oder die Figur!

Andi: (Verzweifelt.) Ja das weiß ich ja eben nicht mehr genau!

Hamlet: Ja dann müssen Sie das eben für sich erstmal klarkriegen, bevor ich hier mit Ihnen diese Szene spreche!

Andi: Ja aber wie soll ich mich denn klarkriegen! Ich basiere ja nur noch auf mir! Wissen Sie, was das für ein Gefühl ist, wenn man nur noch auf sich basiert!

Hamlet: Nee, ehrlich gesagt nicht!

Andi: Eben!

Hamlet: Sie haben einen an der Waffel! Wahrscheinlich sind Sie ganz und gar fiktiv!

Andi: Jaja, klar! Nein! Ich bin eben nicht fiktiv! Aber ich muss mich selbst spielen! Das ist doch der Quatsch! Ich bin dann doch nicht mehr echt. Ich bin nur noch eine Illusion. Diese Kunstfuzzis haben eine Illusion aus mir gemacht, weil ich es machen muss, weil ich mein Kind ernähren muss.

Hamlet: Ja aber dann ist doch das immerhin noch echt! Das ist doch schön!

Andi: Quatsch! Das ist doch dann auch nicht mehr echt! Das muss ich doch hier ablesen, auch wenn es eigentlich so ist! Die haben eine Illusion aus mir gemacht, die haben es geschafft, dass ich mich nur noch selbst spiele! Die haben einen Wolpertinger der Wirklichkeiten aus mir gemacht! Aber ich war noch echt, davor war ich noch echt, als ich bei meinem Kind war, auch wenn ich das jetzt hier nur ablese! Sie sind einfach nur eine Figur! Aber ich nicht, ich bin nicht einfach nur eine Figur! Die haben mich zu einem Hybriden gemacht, zu einem Zombie haben die mich gemacht für das Publikum, weil die Geld zahlen! Die haben sich meine Echtheit gekauft, um sie zu zerstören! Um sie hier live zu zerstören! Weil ich mein Kind ernähren muss, also: in Wirklichkeit, meine ich!

Hamlet: Ja, das ist dann eben eine blöde Situation!

Andi: Völlig verzweifelt. Aber ich lese selbst mein Kind hier nur noch ab! Ich lese selbst mein Kind hier nur noch ab! Ich lese hier diesen ganzen Blödsinn ab, ich lese hier das Kind ab, aber das ist nicht mein Kind, das hat mit meinem Kind nichts zu tun! Die rühren hier selbst noch meine Tochter mit rein in diesen Text, diese Schweine, die wollen mir selbst noch mein Kind auflösen!

(Andi hört auf, abzulesen, schmeißt verzweifelt die Zettel auf den Boden. Er spricht folgenden Teil auswendig, so als spräche er frei – es ist eine traurige Illusion, die dem Publikum Authentizität suggeriert.)

Das geht so nicht. Das könnt Ihr nicht machen mit mir! Ich kann hier so nicht sein, wenn ich ich selbst sein muss oder wie auch immer! Das geht nicht!

(Stille.)

Ich geh’ jetzt.

(Stille.)

Das, was Ihr aus mir gemacht habt, geht jetzt.

(Andi, oder was von ihm übrig ist, geht.

Stille.

Edda betritt wie immer durch die Tür, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht, die Bühne, bzw. den Teil der Bühne, der vor der Tür ist, die ganz verloren und für sich auf der Bühne steht. Da die Tür aber in der Umbaupause umgestellt wurde, ist sie nicht mehr da, wo sie sonst ist, aber Edda kommt wie immer an der gleichen Stelle durch die Tür. Die Tür ist aber jetzt woanders, weshalb Edda nur so tut, als käme sie durch die Tür, die aber gar nicht mehr da ist. Es ist ein etwas kopfloser Versuch, den Abend noch zu retten.)

Edda: (Zum Publikum, frei.) Guten Abend, ich bin Erna Hilldings. Ich bin 1967 Call-Center-Agentin geworden, weil ich antriebslos war...

Ach...

(Pause. Ratlosigkeit. Dann geht Edda zu der Tür, bzw. zu der Stelle, wo die Tür war, und macht sie langsam zu, bzw. tut so, als würde sie sie zumachen, da sie ja nicht mehr da ist, die Tür. Dann geht sie, Edda, wieder zurück in die Mitte der Bühne. Nach einer Weile zum Publikum – dabei zunächst enttäuscht wirkend, dann immer aufgebrachter und wütender, ganz egal ob gerade jemand gelacht hat oder nicht:)

Warum lachen Sie?

(Pause.)

Warum lachen Sie?

(Pause.)

Warum lachen Sie?

(Pause.)

Warum lachen Sie eigentlich?

(Pause.)

Warum lachen Sie?

(Pause.)

Warum lachen Sie?

(Edda wiederholt die Frage so lange, bis – falls überhaupt jemand gelacht haben sollte – niemand mehr lacht, bis niemandem mehr zu lachen zumute ist.

Karin und Petra kommen auf die Bühne, sie haben die Lautsprecherbox dabei. Karin und Petra stellen die Box ab, eine der beiden baut sie auf. Die andere geht zu Edda und legt ihr die Hand auf die Schulter, um Edda zu beruhigen. Sie gehen gemeinsam zur Box. Die Originalaufnahmen der Gesprächsstellen, die zu Beginn des Projektes aufgezeichnet wurden, werden nun über die Box abgespielt. Nacheinander versuchen die drei, ihre Passagen möglichst authentisch mitzusprechen. Währenddessen entsteht eine Ameisenstraße: Sie führt von der rechten Bühnenseite zur Box, um diese einmal herum und auf der linken Seite der Bühne wieder hinab. Es handelt sich um gewöhnliche Gartenameisen.)

Petra: Ich find’s eigentlich authentisch, also, was ich schon so erlebt habe, dass dieses lange Klatschen wirklich auch so hoffentlich gemeint ist, glaub ich schon... also ich hab’s eigentlich, wenn man mal selber im Publikum sitzt, dann empfindet man... also ich meine, es gibt schon ein zwei Male, wo man sagt: nee, das hat mir jetzt nicht so wirklich gefallen, aber ich denke schon, dass das authentisch ist, auch wirklich so ein Stück, einfach auch Anerkennung für die Leistung...

(Dann Karin:)

Karin: Ich habe mal Schiffsbeteiligungen verkauft an Anwälte, Steuerberater, das waren die besten Kunden, die haben gekauft wie blöd, als ob es morgen nichts mehr gibt, ehrlich... so kleine Tankschiffe, ähm, also Schiffsbeteiligung ist ja auch heute immer noch ein Thema, da investieren ja wirklich viele Leute, weil das wirklich lukrativ ist, anders als bei Aktien jetzt. Also in Hamburg sowieso. Die kleinen Werften, also die haben mittelgroße Schiffe, Frachter, Tankschiffe, und da kaufen sich die Zahnärzte, Anwälte, Steuerberater, die kaufen sich da ein, aber richtig... das funktioniert. Das ist richtig. Also die beteiligen sich so im Schnitt liegen die Summen so bei Fünfzigtausend.

(Dann Edda:)

Edda: Die Leute müssen auch, also die Männer müssen immer denken, also habe ich mal so gedacht, das war so als Verkäufer, die wollen das auch denken, dass man selber eine gutaussehende Frau ist, und die Frauen wollen, dass man sehr nett ist.

(Eddas Passage wiederholt sich.)

Die Leute müssen auch, also die Männer müssen immer denken, also habe ich mal so gedacht, das war so als Verkäufer, die wollen das auch denken, dass man selber eine gutaussehende Frau ist, und die Frauen wollen, dass man sehr nett ist.

(Eddas Passage wiederholt sich erneut.)

Die Leute müssen auch, also die Männer müssen immer denken, also habe ich mal so gedacht, das war so als Verkäufer, die wollen das auch denken, dass man selber eine gutaussehende Frau ist, und die Frauen wollen, dass man sehr nett ist.

(Während Edda weiter versucht, ihre eigene Aufnahme so genau wie möglich mitzusprechen, betritt Andi mit starrer Miene als Baum verkleidet die Bühne und stellt sich neben die Box. Eva, die hinter der Bühne im Theaterraum saß, ist aufgestanden und hinter Andi her auf die Bühne gelaufen. Nach einem kurzen Moment des Innehaltens erhebt Andi seine Arme – es sind scheinbar die Äste des Baumes, den Andi spielt. Alle stehen betreten um Andi herum und blicken ihn an.)

Eva: Andi?

(Andi reagiert nicht. Er guckt starr vor sich hin. Nach einer Weile tritt Edda vor ihn und blickt ihn an. Stille, dann:)

Edda: Hast Du Rotkäppchen gesehen?

(Stille.)

Andi als Baum: (Würdevoll.) Ach – schon monatelang nicht mehr.

(Stille.)

(Dann irgendwann lässt Andi die Arme, die keine Äste sind, die aber wie Äste waren, wieder langsam sinken. Stille. Nach einer Weile tritt Petra einen Schritt ans Publikum heran.)

Petra: Das Stück ist jetzt eigentlich vorbei. Ich habe aber noch kurz eine Frage: Wäre es für Sie in Ordnung, wenn ich gleich Ihren Applaus oder Ihre anderen Reaktionen, je nachdem, das steht Ihnen ja frei, wenn ich das mit diesem Gerät... (Sie zeigt ein Ditkiergerät vor.) ...mitschneiden würde für meine Familie?

(Licht aus.)

Montag, 8. November 2010

Kinder malen das Untergehende Schiff

Unter dem Motto "Kinder malen das Untergehende Schiff" rief die Sparkasse Leipzig alle diesjährigen ABC-Schützen auf, sich ein Bild vom Untergehenden Schiff zu machen. Man könne den Stellenwert, den das bildnerische Schaffen für die Entwicklung eines Kindes habe, gar nicht hoch genug einschätzen - so Sparkassenleiter Ratbert Minkow. Es sei ihm deshalb eine besondere Freude, die Schöpfungskraft der kleinen Picassos auch in diesem Jahr wieder mit Urkunden und Sachpreisen zu fördern.



Franziska, 4 Jahre: Das Untergehende Schiff als Sklavengaleere


Pascal, 5 Jahre: Das Untergehende Schiff als Wikingerschiff


Die Bilder sind noch bis einschließlich 3. Dezember in der Filiale in der Friedrich-Fröbel-Straße ausgestellt.

Freitag, 5. November 2010

Das Knacken