Ich sehe das graue Jackett
des Schriftstellers Pierluigi Montalbán, und ich sehe, wie die langen Finger
des Schriftstellers Pierluigi Montalbán einen weißen Fussel vom Stoff des
grauen Jacketts zupfen. Das Theater „Abyssus“ ist zur Hälfte mit Passagieren
gefüllt, die nach vorn zur Bühne blicken, wo der Schriftsteller Pierluigi
Montalbán auf einem Hocker aus der Bar „Herrlichkeit der imperialen Landschaft“
sitzt, mit aufgeschlagenem Buch auf dem Schoß, und zurück ins Publikum schaut
mit einem Ausdruck im Gesicht, als würde er die Welt nicht mehr verstehen. Ein
Mitarbeiter der Reederei „Hargenau & Robertson“ erhebt sich von seinem Sitz
in der ersten Reihe und spricht zu den Gästen, ich sehe ihn und seinen Mund von
der Loge aus, wie er auf und zu und auf und zu geht. Dann setzt er sich wieder,
die Leute applaudieren, der Schriftsteller Pierluigi Montalbán holt tief Luft
und beginnt aus seinem Roman „Das Stellwerk“ zu lesen. Seine Stimme heult wie
ein Sturm. Der Schriftsteller Pierluigi Montalbán liest einen komplizierten
Abschnitt, der weder gut ausgearbeitete Figuren noch Naturbeschreibungen noch
humorvolle Anekdoten enthält, ein einziger quälender Satz, der die Demokratie
verteufelt, der westlichen Zivilisation mit dem Untergang droht, den
Präsidenten und Ministern aller Republiken auf der Welt eine tödliche Krankheit
wünscht, minutiös die optimale Hinrichtung von zwanzig Beamten erklärt, den Bau
einer großen Fabrik beschreibt, die es ermöglicht, alle Bewohner der führenden
Industrienationen zu Rotwurst zu verarbeiten, die Umgestaltung der Parlamente
zu Elefantenhäusern oder Bordellen anregt und den gleichzeitigen Abschuss
ausnahmslos aller Atomraketen fordert, um den Mond zu zerstören. Der
Schriftsteller Pierluigi Montalbán klappt das Buch zu, hebt den Kopf und
blinzelt in das Licht der Scheinwerfer hinein, kneift die Augen zusammen, als
suche er jemandem in der Dunkelheit des Theaters, schwitzt und atmet schwer
dabei. Das Publikum ist verärgert, einige Leute sind bereits gegangen, andere sind
auf Krawall aus und fangen an, herumzuschreien. Der Schriftsteller Pierluigi
Montalbán scheint kein Mensch zu sein, dem Abneigung nichts ausmacht. Er
rutscht vom Hocker, hebt die Hände und will sich erklären, beendet aber seine
Sätze nicht, verhaspelt sich und erzählt irgendetwas, das niemand versteht. Die
Leute kochen und schlucken ihren Ärger hinunter, aber nur unter Vorbehalt, denn
beim kleinsten Fehltritt dieses verrückten Schreiberlings werde man noch
schlimmer als zuvor schimpfen und den ganzen Saal auseinandernehmen, ruft ein
alter Mann und droht mit dem Zeigefinger. Der Schriftsteller Pierluigi
Montalbán streckt den Rücken durch, greift sich mit der rechten Hand in den
linken Ärmel seines grauen Jacketts und zieht den Zipfel eines blauen Tuchs
hervor, zieht und zieht, das Tuch ist lang, sehr, sehr lang, und entfaltet sich
wie ein Segel, in das der Wind hineinbläst, die ersten Leute klatschen und
rufen „Bravo!“, der Schriftsteller Pierluigi Montalbán rupft immer schneller
und schneller das Tuch aus seinem Jackett, die Leute im Parkett springen auf
und greifen sich an die Köpfe, das Tuch bedeckt jetzt schon die gesamte Bühne,
wirft Falten, bauscht sich auf, wogt über den Boden und schließlich
verschwindet auch der Schriftsteller Pierluigi Montalbán darunter, die Leute
schreien und trampeln, da blenden Scheinwerfer auf und erhellen den ganzen
Saal, dass es in den Augen schmerzt, alles ist auf einen Schlag still, die
Umrisse des Schriftstellers Pierluigi Montalbán stürzen in sich zusammen, die
Wellen des Tuchs glätten sich, ruhig liegt es nun da, nichts befindet sich mehr
darunter, die Leute klatschen und pfeifen und gehen hinaus, ich folge ihnen,
wir schwanken vergnügt.
Freitag, 9. November 2012
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Das ist großartig, Saschi!
AntwortenLöschenAber war dieses Jackett nicht doch irgendwie... fliederfarben? Sascha?
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