Montag, 5. Oktober 2009

Jorge Alvarez

Jorge Terencio Bonifacio Alvarez’ literarischer Nachlass beschränkt sich auf ein großes Poem namens „Leviathan“, das man in seiner Stube in der Greifswalder Innenstadt fand. Die etwa 1200 beschriebenen Blätter lagerten in einem Koffer zusammen mit einer Geldkassette, die Alvarez’ Einnahmen aus seinem florierenden Schwarzmarkthandel beinhalteten. Im „Leviathan“ beschreibt Alvarez zunächst in einfachen, dann in immer komplexer und undurchdringlicher werdenden, z. T. sogar ins Romanhaft-prosaische verfallenden Versen Leben und Sterben der Menschen in Greifswalds belagerter Altstadt: Einzig die als Wunderwaffe gepriesene geheimnisvolle „Große Maschine Leviathan“, die von einigen desertierten Bundeswehrsoldaten, Fischweibern, Kleinstadtluden und einer Handvoll verwaister Kinder mittels Schwarzmarktwaren des Nachts in einem Keller zusammengezimmert wird, ist die letzte Rettung der Eingeschlossenen, führt aber auch zur totalen Zerstörung der gesamten Stadt. Alvarez, der zwischen 1955 und 1958 als Sohn eines einäugigen Schaustellers und einer Hochseilartistin in San Francisco de Coray (Honduras) geboren wurde und den größten Teil seines Lebens Gedichte schreibend in einigen deutschstämmigen Kolonien in Südamerika verbrachte, starb noch während der Belagerung; seine Leiche trieb eines Morgens den Ryck-Fluss hinunter und verfing sich in einem alten Wehr.

2 Kommentare:

  1. Der hochverehrte Mr. B., geboren in Santiago de Chile, lässt Ihnen allen herzliche Grüße ausrichten ...

    AntwortenLöschen
  2. Wir grüßen in auch, wir Toten, alle!

    AntwortenLöschen