Donnerstag, 15. Oktober 2009

Vor sieben Tagen traf ich, als ich auf dem Fockeberg spazieren ging, einen alten Indianer. Er sprach zu mir: "Lotz, hast Du Dir überlegt, was Du hier tust?" Da entbrannte ich im Zorn und schlug ihn mit der Knute. Er aber wiederholte seine Frage: "Lotz, hast Du Dir überlegt, was Du hier tust?" Ich züchtigte ihn erneut mit der Knute. Er aber wiederholte nochmals seine Frage, eindringlicher noch als zuvor: "Lötzchen, hast Du Dir überlegt, was Du hier tust?" Da verlor ich die Fassung und schlug ihm mit der Knute den Schädel ein.

Vor sechs Tagen saß ich in meinem Zimmer am Tische, gebückt über ein Gedicht, dass drei Zeilen haben sollte, aber ich hatte erst eine geschrieben. Sie lautete: "Die Schwalben in den Bäumen". Eben hatte ich diese noch leichter Hand geschrieben, eben war ich geküsst gewesen von den Musen, so war nun dieser glückliche Moment vorbei und meine Hand wie Blei, es gab kein Vor, aber es gab auch kein Zurück, und ich blickte auf: Vor dem Fenster fuhren die vier apokalyptischen Reiter in einem Großraumtaxi vorüber.

Vor fünf Tagen, als ich mir mit der Pinzette ein Haar vom Rücken entfernte, fiel mir plötzlich der Moment meiner Geburt ein: Damals, in jenem Augenblick, öffnete sich die Welt für mich zwischen den Beinen meiner Mutter, ich platzte hervor in die Kälte, wie eine Blüte, die die Knospe sprengt im Frühling, und als ich da lag, schrie ich, und ja, es war dieses Schreien, das mir plötzlich wieder einfiel, und ich fragte mich, warum habe ich dies seitdem nie wieder getan?

Vor vier Tagen aß ich eine Bulette und trank einen Schluck Apfelsaft aus einem Coke-Glas, und da verschluckte ich mich, und alles kam mir durch die Nase wieder heraus. Als ich mich wieder gesammelt hatte, bemerkte ich, dass der Kuckuck dreimal pfiff.

Vor drei Tagen lag ich im Bett, und ich spürte die Erde unter mir leise beben. Da dachte ich: Wolfram, was machst Du jetzt, wenn sie sich öffnet und Dich einfach verschlingt? Ich wusste es nicht, aber inzwischen ist es mir eingefallen.

Vor zwei Tagen, als ich durch die Stadt ging, flog ein Albatros über meinem Kopf. Ich ging zum Bäcker, und der Albatros flog über meinem Kopf. Ich ging zum Schuster, und der Albatros flog über meinem Kopf. Ich ging zum Sattler, und der Albatros flog über meinem Kopf. Ich ging zum Key Account Manager, und der Albatros flog über meinem Kopf. Da wurde es mir zu viel und ich herrschte den Albatros an: "Albatros, was fliegst Du immer über meinem Kopf?" Da sprach der Albatros: "O Du Undankbarer! Ich fächle Dir Luft zu! Weißt Du denn nicht, dass der Mensch Luft braucht? Wie willst Du leben ohne Luft?" Da begriff ich, dass er Recht hatte, und ich schämte mich für meine gedankenlose Frage.

Vor einem Tag lief ich nackt, nur mit dem roten Schal der Sozialdemokratie bekleidet, durch meine Wohnung, wieder und wieder, und plötzlich fragte ich mich: "Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?" Da fiel mir der alte Indianer wieder ein und mir zersprang das Herz im Busen, ich kniete nieder und Tränen fielen aus meinen Augen, ich weinte bitterlich.

5 Kommentare:

  1. Und was für einen! Darin finden all die gequälten Seelen, die Opfer der Unverständnis, die traurigen Waisen, die Versehrten des Kapitalismus, die Geschundenen und die Geschändeten, die armen Siechenden, die lieben Toten ein Zuhause. Jawohl, ein Zuhause.

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  2. Das erinntert mich an Sokrates und seine Frau!


    Du Gewonheitstier!!
    Du Langweiler!
    Wer weiß denn schon ob der doofe Albatros dich nicht nur langsam Stück für Stück vergast und dich nur anlügt!!!?
    Du Gläubiger!
    Du Armer!
    Du bist wirklich und nicht schwarz weiß!
    Aber für dich: hoff weiter!
    Vielleicht gibt es ein Leben nach dem Tod, indem du gar nicht Atmen brauchst??

    es findet wie alles andere nur in unseren Köpfen statt!

    "Lötzchen, hör auf zu überlegen !

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