Donnerstag, 2. September 2010

Das Grußwort aus Leipzig

Grußwort des Bürgermeisters und Beigeordneten

für Umwelt, Ordnung und Sport der Stadt Leipzig,

HEIKO ROSENTHAL


Liebe Studenten des Deutschen Literaturinstituts Leipzig,

liebe Einwohner der Städte Leipzig und Berlin,

hochverehrte Anwesende,

dem französischen Schriftsteller und späteren Dichter-Kardinal Chevalier Auguste de Aquitaine wird folgender Sinnspruch zugeschrieben: „Wer läuft, dem sollen die Beine schwer werden; es wird vorübergehen. Wer nicht läuft, dem sollen sie abfallen; wozu braucht er sie noch?“ Wie wir alle wissen, traf Auguste de Aquitaine im September 1766 hier in unserer Stadt auf den jungen Goethe: In der Gastwirtschaft „Zum blauen Auerhahn“ tranken die beiden zusammen und gerieten in einen heftigen Disput über das Leben zwischen den Siedlungen der Menschen, die Landschaft als Heimstatt, den Wald als Zuflucht. Der hitzige Goethe negierte damals noch jeglichen Nutzen der Natur für das Seelenheil des damaligen Menschen, während Auguste de Aquitaine wutentbrannt dagegenhielt, der Weg ins Paradies führe an einem hell klingenden Quell entlang, über einen windigen Grat, durch ein herrliches Unterholz. Es heißt, de Aquitaine habe Goethe kräftig ins Gesicht geschlagen und dann sofort, die Gendarmerie im Rücken, Leipzig gen Berlin verlassen, ohne Begleitung, ohne Kutsche. Zwei Monate später tauchte er in einem Asyl in der Berliner Invalidenstraße wieder auf – dort schrieb er sein heute fast vergessenes Epos „Unheilvolle Erkenntnisse und die Reifung des Geistes Oder Der Kompass des einäugigen Fürsten“, eine Mischung aus Tatsachenbericht und dramatischem Gedicht, in dem er seine Flucht aus Leipzig minutiös nachzeichnet und die Frage nach der Relevanz eines Individuums stellt, das von den beiden Kräften der Natur, dem Gewitter und den wilden Tieren, zerrieben zu werden droht. „Was bleibt von mir“, heißt es darin, „wenn ich zurückkehre ins Haus der seufzenden Geliebten, hinter die dunklen Mauern, am Brunnen lichter Sonnenschein – was bin ich dann noch, über und über mit Geäst behangen, nass vom Sturm, die Hosentaschen voll Moor und Kröten? Bin ich noch? War ich nie? Werde ich endlich sein?“

Liebe junge Kollegen des Auguste de Aquitaine: Ich wünsche Euch, dass Ihr Euren Marsch auch im Geiste dieses großen Dichters tätigt, auf dass Ihr hiermit gewarnt seid, wie schwer doch die ungestüme Natur auf Eure jungen Herzen, von Stadtlärm und bequemen Autofahrten erfüllt, drücken könnte. Ganz Leipzig hofft, dass Ihr wohlbehalten in Berlin ankommt, und wünscht Euch einen guten Marsch!

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