Freitag, 26. Februar 2010
Der Wind Ellesmere Islands
„Das Eis, Antigone“, fuhr Timbel fort, „ist etwas, das sich beinahe unmerklich (und auf eine gewisse Art und Weise sogar wehrlos) beseitigen lässt. Ich habe es ja vorhin angedeutet: Die Insel ist längst nicht mehr das, was sie einst gewesen ist. Die Gletscher sind noch da, ihre Reste zumindest. Man gab ihren kümmerlichen Überbleibseln Namen wie 'Pierre grand' oder 'Longue blanche'. Fürchterlich, oder? Ich will Ihnen meine Trauer über die Verwandlung der Natur nicht verhehlen (ich trauere in Bezug auf diesen ganzheitlichen Vorgang, der in meinem Herz immer und immer wieder ein Gefühl des schmerzhaften Verlusts auslöst), aber bevor ich ins Schimpfen gerate, will ich ohne Umschweife zugeben, dass mir und insbesondere meinem körperlichen und auch geistigen Wachstum zumindest die stetige Erwärmung des Windes wohl getan hat. Ich erinnere mich noch genau an die Zeit meiner Jugend: Eine Zeit, in der das Eis aus den Bergen, kaum war es gefroren, schon wieder schmolz und mit pompösem Rauschen die Felswände hinab ins Tal toste. Ich stand inmitten dieses Schwalls, auf einem Vorsprung, gerade einmal vierzehn Jahre alt, und sah hinunter auf die Ebenen mit ihren Hügeln und Kratern, auf die Türme und Straßen der blauen Stadt, auf die dunkle Weite des Arktischen Ozeans, während um mich herum dieser Wind wehte, ein warmer Wind, der viele, viele Jahre zuvor so kalt und scharf gewesen war, das nichts in seiner Anwesenheit existieren konnte, der sich nun jedoch beruhigt zu haben schien, dessen Wut und Zorn einer Art von Friedfertigkeit Platz gemacht hatten, einer liebevollen Überschwänglichkeit, denn immer noch war der Wind Ellesmeres ein sehr heftiger Wind, der über die Tundra sauste, die Hänge empor kroch und an den Steilwänden eine Kehrtwende machte, um ins Tal zurück zu fegen und den letzten Schnee in die rissige Erde zu schmelzen. Dieser Wind umgab mich nun, strich zärtlich und fordernd zugleich über meine Haut (die ersten Haare in meinem Gesicht und an den Genitalien waren nur wenige Tage später gesprossen), während ich auf das Land meiner Kindheit herabschaute, eine von Flechten und Moosen überzogene Landschaft. Von der einen auf die andere Sekunde hatte sich dort unten der Mensch eingefunden, in atemberaubender Schnelligkeit Minen, Wohnsiedlungen und Industriekomplexe errichtet und ganz nebenbei diesen Wind, seinen tödlichsten Feind, 'gezähmt' – genau so, als würde man einer Schlange die Giftzähne ziehen. Natürlich schmerzt es mich, wenn ich daran denke, wie stark der Mensch doch gegenüber den Kräften der Natur ist. Wie schnell es geht, ein Ökosystem zu verändern. Aber ich will mich jetzt nicht mit einer Art des Jammerns beschäftigen, die seit so vielen Jahren schon mehr oder weniger erfolgreich praktiziert wird. Vielmehr möchte ich betonen, wie gut mir in dieser kargen und überaus störrischen Ödnis der verwandelte Wind tat, dieser warme Wind, der nichts mehr mit seiner ursprünglichen Gestalt gemein hatte, der in den Schornsteinen, Kellerlöchern und atmenden Münder der Bewohner Ellesmeres wiedergeboren wurde.“
Donnerstag, 25. Februar 2010
Ach, der Garten / Gedicht von Felix Leu
Mittwoch, 24. Februar 2010
Dienstag, 23. Februar 2010
Donnerstag, 18. Februar 2010
Neuschwabenland
Mittwoch, 17. Februar 2010
schabte ein Vogel
seinen Schnabel
am höchsten Berg
das erschreckte Vieh stürmte wild der jähen Flut zu
der Vogel sah auf
Stein?
Wald?
Luft?
das Terrain ist mittelsteil,
es finden sich aber auch steile Planken
dass damals
noch keine Sekunde
der Ewigkeit
die blühenden Gebreiten einer reichen Alp wandeln sich zum starren Gletscher
Weite
Ebene
Niederung
das Gefüge der Alp, Alpgrüttel, Wildheuplanken, Klepfenkuh
nach Mitternacht fällt die stiebende Reuss und orgelt ihre mächtigen Kadenzen hinab in den See, südwärts aber türmen sich die Berge immer höher und höher, wie die versteinerte grosse Flut
Oh, ihr Bäume!
die Gräser sind durchwegs schlecht, in dem es fast überall nätschhaltig ist, mit Ausnahme der hinten im Tal liegenden Stäfel
der Vogel sah auf
die Gemeinde von jenseits sömmert das Vieh auf der diesseitigen Alp
die genäschige Ziege und das gefrässige Schaf
Moränen
Moore
Bergseen
Gletscherbäche
das gesichelte, gemähte und gerupfte Wildheu wird zu Tristen aufgerichtet und um eine Stange herum fest eingestampft. Am Boden ruht es über einem Rest von Tannästen, der ihm Schutz vor Feuchtigkeit und eine ordentliche Lüftung gewährleistet.
nach Aussen sind die Schwaden steil abwärts geschichtet, damit Schnee und Wasser rasch von ihnen ablaufen und abgleiten
Schnabel
Vogel
Berg
kein Sekündeli!
das Gebiet ist mit Steingeröll übersät und von Alpenrosen, Bergerlen stark überwuchert. Auch ist sehr viel Nätsch vorhanden
wo ist die Schweiz?
geht ein Flüstern
dessen Verbreiter bereits
der Vogel
sein musste.
Montag, 15. Februar 2010
Sonntag, 14. Februar 2010
Im Anderen Bett
Samstag, 13. Februar 2010
Donnerstag, 11. Februar 2010
Ihr Hüter der Berechenbarkeit
riefen wir in den unseligen, grossen Himmel –
was ist mit euch? Seid ihr des Trostes?
Wir schauten, durch unseren Ausruf in eine andere Stimmung versetzt, längst aber nicht zufrieden und nicht beruhigt, auf unsere Füsse, deren Formen uns plötzlich ergötzten.
Im Grunde aber war kein Wohl in unseren Herzen –
Dass das weisse Band der Ordnung und des Beweises unersichtlich blieb, machte uns schier stibelisinnig -
Ein grosser Raum schien uns zu umgeben, blau und grau, wenige Vögel flogen darin, ein wenig tröpfelte es...die Geräusche waren kostbar – wir lauschten...
das war damals unsere Beschäftigung.
Aus: Erinnerungen an die Unsterblichkeit von Waldemar&Hildegard Herz
Mittwoch, 10. Februar 2010
Dienstag, 9. Februar 2010
Zwischenbericht: Felix Leu, Roman Ehrlich, Adalbert Spichtig, Hannes Becker, Sascha Macht, Wolfram Lotz, katharina stooß, E. Wildenthal
Montag, 8. Februar 2010
„Dies also sind die fundamentalen, kapitalen und philosophischen Gründe, die mich dazu bewegt haben, mein Werk auf dem Fundament von einzelnen Teilen aufzubauen – das Werk als ein Teilchen des Werkes und den Menschen als eine Zusammenfassung von Teilen des Körpers und der Seele betrachtend -, während ich die gesamte Menschheit als Gemisch von Teilen und Stücken auffasse. Wenn mir nun jemand vorwerfen würde, dass solche eine teilweise Auffassung doch wirklich und wahrhaftig keine Auffassung sei, sondern nur Quatsch, Unsinn, Stuss, und dass ich, anstatt mich den strengen Gesetzen und Regeln der Kunst zu unterwerfen, mich über sie durch ein Gespött lustig zu machen suche, dem würde ich antworten, ja, das stimme und gerade das und nichts anderes sei meine Absicht. Und – bei Gott – ohne zu zaudern gestehe ich: ich möchte ebenso gern eurer Kunst entgehen, die ich nicht ausstehen kann, wie euch selber, ihr Herren! Denn auch euch kann ich nicht ausstehen mit euren Auffassungen, eurem ästhetischen Gehabe und eurer ganzen, kleinen Künstlerwelt."
Sonntag, 7. Februar 2010
Eine äusserst pedantische Aufzeichnung von Morelli: „Versuchen, den „roman comique“ zu schreiben, und zwar dergestalt, dass ein Text andere Werte anklingen lässt und so zu einer Anthropopanie beiträgt, die wir noch immer für möglich halten. Es scheint, dass der traditionelle Roman die Suche dadurch zunichte macht, dass er den Leser auf sein Milieu beschränkt, das umso genauer definiert wird, je besser der Romanschreiber ist. Erzwungenes Stehenbleiben auf den verschiedenen Stufen des Dramatischen, Psychologischen, Tragischen, Satirischen oder Politischen. Stattdessen versuchen, einen Text zu schreiben, der den Leser nicht fesselt, ihn aber zwangsläufig dadurch zum Komplizen macht, dass man ihm unterm Deckmantel einer konventionellen Handlungsführung andere, mehr esoterische Richtungen suggeriert. (...)
Provozieren, sich einen Text zur Aufgabe machen, der schlampig gemacht ist, unverbunden, inkongruent, der bis ins letzte gegen die Kunst des Romans (obgleich nicht gegen den Roman) verstösst. Ohne auf die grossen Wirkungen der Gattung zu verzichten, wenn die Situation es erfordert, aber den Rat von Gide beachten . ne jamais profiter de l´ elan acquis. Wie alle erwähnten Geschöpfe des Abendlandes, begnügt sich der Roman mit einer geschlossenen Ordnung. In entschlossener Opposition auch hier die Öffnung suchen und zu diesem Zweck jegliche systematische Konstruktion von Charakteren und Situationen mit der Wurzel ausrotten. Methode: Ironie, unablässige Selbstkritik, Inkongruenz, Phantasie in niemandes Diensten. Ein solcher Versuch geht von der Ablehnung der Literatur aus; einer partiellen Ablehnung, da sie sich auf das Wort stützt, die aber jeden Schritt des Autors und des Lesers überwachen muss. Folglich den Roman benutzen, wie man, unter Veränderung seines Zeichens, einen Revolver benutzt, um den Frieden zu verteidigen. Aus der Literatur das nehmen, was lebendige Brücke von Mensch zu Mensch ist und was der Traktat oder Essay nur unter Spezialisten möglich macht. Eine erzählende Literatur, die nicht Vorwand ist für die Übermittlung einer „Botschaft“ (es gibt keine Botschaft, es gibt Botschafter und die sind die Botschaft, sowie der Liebende die Liebe ist); eine erzählende Literatur, die wie eine Verdichtung gelebter Erfahrungen, wie ein Katalysator konfuser und missverstandener Vorstellungen wirkt, und dies in erster Linie auf den Schreibenden selbst, weshalb man sie als Antiroman schreiben muss, weil jede geschlossene Ordnung systematisch diese Ankündigungen draussen lassen würde, die uns wieder zu Botschaftern machen und uns den eigenen Grenzen nähern können, von denen wir so weit entfernt sind, wenn wir mit der Nase darauf stossen.
Freitag, 5. Februar 2010
Zurück auf die Bühne
Donnerstag, 4. Februar 2010
Seegurkennachtrag für Wandernde
An einem sehr kleinen Tisch in einem sehr hohen Haus, an einem sonnigen Tag im kalten Winter, habe ich durch die Fenster schon ein gutes Stück unserer Wegstrecke gesehen für den Marsch im Mai. Den Gang durchs Land. Während ich zuhörte, wie meine Begleiterin von Seegurken sprach, erzählte, dass die Seegurke sich den Verteidigungsmechanismus angeeignet habe, ihre Angreifer infolge eines blitzartigen Würgereflexes mit den eigenen Eingeweiden vollzukotzen. Mit einer scharfen, schleimigen grünen Masse - dem gesamten Verdauungsapparat, der von der Seegurke allerdings in kürzester Zeit reproduziert werden könne. Das sei, sagte meine Begleiterin, für die Liebhaber gebratener Seegurken ein sehr praktischer Reflex, weil sie sich ja, einmal aus dem Wasser geholt und in richtiger Brechrichtung vom eigenen Körper weggehalten, sozusagen selbst servierfertig machen würden.
Das Hervorbrechen des eigenen stinkenden Inneren zur Selbstverteidigung.
Draußen der Wintersonnenglast in der feuchten Luft.
Ganz klein waren da auch noch Fußspuren.