Donnerstag, 21. Juni 2012

Monolog des Quittenbaums


Ich bin die einzige Pflanzenart der Gattung Cydonia und gehöre zur Untertribus der Kernobstgewächse (Pyrinae) innerhalb der Familie der Rosengewächse (Rosaceae). Meine Blüten stehen einzeln an den Spitzen beblätterter Zweige. Ich bin, wie man auch sehen kann, ein laubabwerfender Strauch oder kleiner Baum, der Wuchshöhen von 4 bis 8 Meter erreicht. Mein behaarter Blütenstiel ist nur etwa 5 mm lang. Und die zwittrige, radiärsymmetrische, fünfzählige Blüte weist einen Durchmesser von 4 bis 5 cm auf mit doppelter Blütenhülle (Perianth). Die fünf auf beiden Seiten behaarten Kelchblätter sind zurückgebogen und 5 bis 6 mm lang, mit glattem Rand. Die fünf freien, weißen oder rosafarbenen Kronblätter hier sind verkehrt-eiförmig und etwa 1,8 cm lang. Und diese fünf unterständigen Fruchtblätter enthalten jeweils viele Samenanlagen. Die fünf freien Griffel sind an ihrer Basis flaumig behaart und fast so lang wie die Staubblätter. Ich blühe nur in einem kurzen Zeitraum im Mai und Juni. Da ich selbstfruchtbar bin, wird kein zweiter Baum zur Bestäubung benötigt, was eigentlich sehr praktisch ist, aber es wurde mir doch immer zum Problem, dass ich weder Mann noch Frau bin, sondern sowohl als auch. Gerade in der Schulzeit wusste ich damit nicht umzugehen. Als ich Geschlechtsreife erlangte, wie man so sagt, wurde mir bewusst, dass ich anders bin als die anderen. Also habe ich versucht, mich so anzuziehen, dass die anderen nicht sehen, dass ich zwittrige Blüten habe, also vor allem auch im Frühling und Sommer, wenn es so warm war, habe ich trotzdem immer ganz lange Sachen getragen, um meinen Körper möglichst zu verbergen. Nach dem Sportunterricht habe ich immer darauf geachtet, dass ich mich so umgezogen habe, dass niemand meine Blüten gesehen hat. Und ich bin deshalb auch nicht mit den anderen Duschen gegangen, das ging nicht, ich habe mich so geschämt dafür, wie ich bin. Natürlich haben die anderen schnell gemerkt, dass mit mir was nicht stimmt, was dazu geführt hat, dass ich sozial immer mehr isoliert wurde. Und es war ja auch so, dass ich auch sonst ein wenig anders aussah, weshalb schnell über mich herumerzählt wurde, dass ich eine schwule Schwuchtel sei, was mit der Zeit, so ab der neunten Klasse, dazu führte, dass mich eigentlich alle mieden, niemand mehr etwas mit mir zu tun haben wollte. Ich verbrachte die Pausen immer alleine, langweilte mich furchtbar und war sehr einsam, aber ich war schon froh, wenn ich von den anderen nicht noch geärgert wurde. Ich wurde durch die Isolation aber immer bedrückter, im Nachhinein würde ich sagen: richtiggehend depressiv. Meine Leistungen nahmen immer mehr ab, ich wurde immer schlechter in der Schule und meine Blätter welkten zum Teil schon im Frühsommer. Das mag jetzt irgendwie komisch klingen, aber für mich war das alles andere als komisch, für mich war es die Hölle. Irgendwann ging es nicht mehr, es ging so einfach nicht weiter, und obwohl niemand so recht verstand, wieso, und mir eigentlich meine Familie auch riet, die Schule unbedingt bis zum Abitur durchzuziehen, brach ich sie ab, an einem gewissen Punkt ging es einfach nicht mehr weiter.
Ich bin dann erstmal in ein tiefes, tiefes Loch gefallen. Knapp ein Jahr hing ich nur zuhause rum, völlig lethargisch und bin praktisch nicht vor die Tür gegangen. Ich habe es wirklich meinem näheren Umfeld zu verdanken, die zu mir gehalten haben und mich ermutigt haben, etwas anderes anzufangen, und mich nicht einfach hängen zu lassen. Nach einem Jahr habe ich mich aufgerafft, in der Nähe im landwirtschaftlichen Bereich ein Praktikum zu absolvieren, was auch zunächst ganz gut war, es hat mir ein wenig mehr Selbstbewusstsein verschafft, aber richtig aufgeblüht bin ich erst, als ich hierherkam, wo einfach das Klima viel offener ist. Das heißt nicht, dass ich nicht immer noch Probleme habe, ich treffe immer wieder auf den einen oder anderen, die damit nicht klar kommen, wie ich bin,  aber alles in allem kann ich inzwischen gut damit leben.

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